Kledaaschenmaker Gianni Versace

■ Wo Lüüd wat to seggen hebbt: Seit 20 Jahren sendet Radio Bremen Nachrichten op Platt

In der Nähe des Hauptbahnhofs ist ein vierstöckiges Hochhaus explodiert. Die Nachricht hat es in sich, Gesine Kellermann stöhnt: „,Vierstöckig' gibt es im Plattdeutschen nicht“, seufzt die Radio-Bremen-Redakteurin. Während die gebürtige Plattsnackerin darüber nachdenkt, ob sie trotzdem melden soll, daß ein veerstöckiges Huus explodeert is, fällt ihr Blick auf den gelben taz-Kalender, der an der Wand über dem Schreibtisch hängt. Dieser Tage werden die plattdeutschen Nachrichten 20 Jahre alt.

Das Geiseldrama in Mogadischu gehörte zu den ersten Meldungen, die in Platt über den Äther gingen: Lüüd von de Sondereinheit GSG 9 bi den Bundesgrenzschutz hebbt vunnacht glieks na twölf all de Geiseln ut de Lufthansa-Maschien in Mogadischu in Somalia, de kapert woorn weer, free maakt.“Aus: Eine Stewardess erlitt eine Fußverletzung wurde: En Stewardess, hett wat an ehrn Foot afkregen.

Seitdem gingen „de plattdütschen Nahrichten“mehr als 2.000 Mal über den Äther – und blieben trotzdem eine rundfunkpolitische Rarität. Die NDR-Landesprogramme für Hamburg und Schleswig-Holstein sowie der Privatsender „Nora“haben plattdeutsche Nachrichten höchstens einmal pro Woche im Programm. Bei Radio Bremen heißt es hingegen täglich von Montag bis Freitag ab 10.30 Uhr: De Klock ist halbig ölben. Tied för de Nahrichten.

Kurz vorher werden die Neun-Uhr-Nachrichten ins Niederdeutsche übersetzt: Dicht be den Hauptbahnhoff in Düsseldörp is een Huus explodeert, wat veer Etaaschen harr, rückt Gesine Kellermann dem vierstöckigen Wohnhaus zwar nicht mit der Abrißbirne, aber immerhin mit dem Wörterbuch zu Leibe. Der Modedesigner Gianni Versace bekommt den schmuckloseren Titel des Kledaaschenmakers (Kleidermacher). Und die Nachricht vom Selbstmord seines mutmaßlichen Mörders klingt auf Platt nicht todernst, sondern heiter: De Mann, vun den se vermoden sünd, dat he den Kledaaschenmaker Gianni Versace dootmakt hett, de is nun woll sülven doot.

„Platt klingt nicht heiter oder niedlich“, protestiert Gesine Kellermann. „Platt ist nur anschaulicher, näher, konkreter.“Deshalb sind „führende SPD-Politiker“auch schlicht: Lüüd, de in de SPD wat to seggen hebbt.

„Die ersten Nachrichten, die wir übersetzt haben, mußten wir immer noch dem Chefredakteur zur Kontrolle vorlegen. Er wollte wissen, ob da nicht zuviel Blödsinn drinstand und ob die Nachrichten nicht zu lustig waren, was ja bei Plattdeutsch immer unterstellt wird“, erinnert sich auch Dr. Wolfgang Lindow, der damalige Geschäftsführer des Niederdeutschen Institutes, das vor 20 Jahren das Konzept für die niederdeutschen Nachrichten zusammen mit der Nachrichten-Redaktion von Radio Bremen auf Initiative von Kurt Nelhiebel entwickelt hat.

Nach einem Anruf vom Sender war Lindow damals mit einem Kollegen ins Funkhaus gekommen, um zur Probe erstmal „einen Stapel Papier mit Nachrichten“ins Niederdeutsche zu übersetzen. Wenig später klingelte das Telefon wieder: Die plattdeutschen Nachrichten sollten ins Programm, und zwar zweimal pro Woche, anstelle der hochdeutschen Zehn-Uhr Nachrichten.

Vor zwei Jahren wanderten die „Nahrichten up Platt“von der Hansawelle ins volkstümliche Schlagerprogramm von RB 3 und gehen dort täglich von montags bis freitags über den Äther.

„Hier wird nicht geschwafelt“, sagt Gesine Kellermann streng und zieht die Stirn in Falten. Der Bremer Innensenator Borttscheller hat sogenannte Bürgerwehren zur Bekämpfung der Kriminalität abgelehnt. Was stattdessen gebraucht werde, sei Bürgerinitiative, heißt es im Originaltext. „Wenn man die Nachrichten ins Plattdeutsche übersetzt, fällt einem erst auf, daß Politiker oft gar nichts zu sagen haben“, seufzt Gesine Kellermann. Der Innensenator wird zum Binnensenater, de „nee“seggt: Nee, he will sockse Trupps vun Börgers nich hebben, de wat tegen de Kriminalität ünnernehmen willt. Wat Bremen würklich bruken dee, weern uppassen Börgers. Na bitte, Herr Binnensenater, warum nicht gleich so?

Manchmal ist Gesine Kellermann, die Platt mit der Muttermilch eingesogen und später sogar studiert hat, allerdings mit ihrem Latein am Ende. „Es gibt kein Wort für sexuellen Mißbrauch oder Sexualität.“De kruupt tohoop in't bett ist alles, was den Plattsnakern dazu einfällt. Und auch das zwölfbändige Wörterbuch tut nichts für die Aufklärung. „Sexuell“– ist die magere Ausbeute eines einzigen Stichworts zu diesem Thema. „Ist das Kind schon aufgeklärt“– steht dahinter die Frage auf hochdeutsch. Die „platte“Antwort: Wet dat Kind d'r al wat van, dat'twee Soorten von Minsken gifft? (Weiß das Kind, daß es zwei Sorten von Menschen gibt?)

Kerstin Schneider