Ratlos in Hammelburg

■ Nach dem Vergewaltigungsvideo versucht die Bundeswehr im Ausbildunglager für SFOR-Einsätze das Image aufzupolieren

Stichflammen schlagen gen Himmel, Rauchschwaden liegen in der Luft. Auf der kokelnden Grasnarbe wälzt sich ein Mann, dem der linke Arm abgefetzt wurde, einem anderen quillt blutrot das Gedärm aus dem Bauch. Zwölf Zivilisten hat es getroffen. In Zelten lagerten sie am Rande des Kornfelds, als der Konvoi mit den SFOR-Soldaten sich näherte. Eigentlich haben sie die Friedenskontrolleure nur begrüßen wollen, doch als sie ihnen entgegenliefen, gingen die verborgenen Tretminen los. Nun steht der Dorfbürgermeister inmitten seiner schwer verletzten Nachbarn. „Ruku perebintovatch“, so verbinden sie ihm doch den Arm. „Nossilku prinesti“, holen Sie die Trage, „pogrusitch w wertoljot“, bringen sie ihn in den Hubschrauber!

Zehn Minuten später sind die Verwundeten versorgt, hält olivgrüner Verband den zerplatzten Bauch notdürftig im Sanitätsfahrzeug beieinander, liegt der Schwerverletzte mitsamt seinem abgerissenen Arm im Rettungshubschrauber. „Abbruch der Ausbildung“, tönt es militärisch knapp aus dem Megaphon. Totgeglaubte springen von der Trage und reihen sich mit den Sanitätern in einer Reihe auf. „Gut gemacht, Jungs.“ Was anmutet wie ein Actionfilm, ist Teil der Ausbildung von Bundeswehrsoldaten, die sich darauf vorbereiten, als Reserverkräfte einmal nach Bosnien zu kommen. Im fränkischen Hammelburg üben sie all das, dem sie im Krisengebiet einmal gegenüberstehen könnten.

Einigen Kameraden ging möglicherweise aus Langeweile die Phantasie durch. Im Februar 1996 drehten sie ein Video. Gefesselte Männer in Tarnanzügen sitzen Rücken an Rücken aneinandergebunden, und einer schreit: „Mund auf“, und schießt. Die Männer sind tot. Da liegt ein Mann als Frau verkleidet auf dem Rücken, und ein Soldat simuliert eine Vergewaltigung. Bilder aus der Bundeswehr, aufgenommen von Rekruten, die 1996 mit Freiwilligen für den Ifor-Einsatz in Bosnien trainierten. Das Band, kürzlich ausgestrahlt, sorgt noch drei Wochen danach für Aufregung in der Truppe. „Dieses blöde Video“, sagt Ausbildungskommandeur Bernd Gerlach. Wie ein Fettfleck klebt das Band am soften Image der Bundeswehr, die mit den Out-of-area- Einsätzen wegkommen will von der Erinnerung an die Wehrmacht.

Weil die Sache mit dem Video anhaltend hohe Wellen schlägt, hatte die Heeresführung am Mittwoch nach Hammelburg geladen. Acht Ausbildungsstationen müssen die Männer durchlaufen. Im Schnelldurchgang, so scheint es, soll aus dem kämpfenden Soldaten ein friedfertiger Helfer werden. Aber auch harte, uneinsichtige Kerle sind als Darsteller erwünscht. Auf dem Ausbildungsplan steht ein Überfall aus dem Hinterhalt. Zornige Einheimische greifen an. In diesem Fall, so der Einsatzbefehl, dürfen die Soldaten rücksichtslos von der Waffe Gebrauch machen. Solche Übungen seien wesentlich, meint Kommandant Gerlach. Den Schauspielern wird Brutalität und Härte abverlangt. An sechs Tagen, acht Stunden lang, mimen die Rekruten die Bösen. Doch beim Presserundgang wird eine solche Ausbildungsstation nicht vorgeführt. Konnten die Initiatoren des Videos nach langen Tagen des Randalierens letztlich nicht mehr zwischen Wirklichkeit und Spiel unterscheiden? Rolf Otte winkt ab. Seit vier Jahren begleitet der Psychologe die auszubildenden Truppen. „Kein Fall ist mir bekannt, wo ein Soldat anfällig dafür gewesen wäre.“ Mit dem Ausbildungsende würden die Soldaten auch „die Phantasiekostüme ablegen“.

Im Tarnzelt, bei weiß gedecktem Tisch, Käseschnittchen und „Kaltgetränk“, mag niemand mehr darüber sinnieren, was gewesen wäre, wären diese Soldaten zum Einsatz gekommen. Hauptmann Dieter Morthorst aus Ahlen berichtet, bei den Kameraden in Bosnien sei „es nicht politisch thematisiert“ worden. Morthorst, selbst erst seit kurzem von einem Einsatz in Bosnien wieder zurück, könnte den Idealtypen des deutschen Uno-Soldaten abgeben. Der 34jährige, derzeit Ausbilder in Hammelburg, ist frei vom Habitus eines Haudegens. Vielleicht, sinniert er, stecke ja „in jedem Mann ein Kind“. Soldaten, die Vergewaltigungen nachstellen, spielen Kinderkram? „Es macht uns unheimlich betroffen“, wettert Peter Rohmann, der Presseoffizier in Hammelburg. Dunkelrot im Gesicht, haut er seinen Zeigefinger auf die Tischplatte. „Ich frage mich, was hat die geritten?“ Die Antwort auf die dringende Frage aber will niemand in Hammelburg suchen. Die Ausbilder haben nach dem Vorfall einfach ein absolutes Film- und Fotografierverbot verhängt. Künftig wird eben kein SFOR-Soldat mehr auf dem Spähpanzer in Splitterweste und Kampfuniform stehen und ein Erinnerungsfoto schießen. Annette Rogalla, Hammelburg