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Nachrichtenlose Konti und geraubtes Gold und Geld. Vier neue Bücher zum aktuellen Thema  ■ Von Werner Rügemer

„Die größte Plünderung der Geschichte muß endlich global untersucht werden“, so kürzlich Avraham Burg, Chef der Jewish Agency in Jerusalem. Während sich die Schweizerische Bankiervereinigung mit der wiederholten Suche nach „nachrichtenlosen Konti“ von Holocaust-Opfern abmüht, geht es inzwischen nicht nur um „Schlummerkonten“, sondern auch um Wertpapiere, Immobilien, Schmuck, Kunstwerke. Es geht nicht nur um Hehlerei in der Schweiz, sondern auch in Frankreich, Portugal, den USA, Argentinien usw. Es geht nicht nur um das Vermögen der Opfer, sondern auch der Täter, von deutschen Unternehmen und von NS-Prominenz. Inzwischen ist klar: Die Wirtschaftsgeschichte des Holocaust wie des NS-Systems ist immer noch ein großer weißer Fleck.

Den versuchen immer mehr zu tilgen. Der Klassiker „Raubgold“ von Werner Rings wurde ein Jahrzehnt nach seinem Erscheinen wieder aufgelegt; bereits 1993 erschien Gian Trepps „Bankgeschäfte mit dem Feind“, über die Zusammenarbeit von Reichsbank, Schweizer Nationalbank und US-Banken (taz vom 4. 2. 97). Jean Zieglers Bestseller „Die Schweiz, das Gold und die Toten“ faßt in polemischer Schreibe bisherige Kenntnisse der Linken zusammen. Jetzt erscheinen aber auch Bücher, die auf neuen Unterlagen und neuen Sichtweisen beruhen.

Am informativsten ist Beat Balzlis „Treuhänder des Reichs“. Der Wirtschaftsredakteur der Züricher Sonntags-Zeitung hat in Archiven von Potsdam, Washington und Bern recherchiert. Er erklärt, warum jüdische Erben in der Nachkriegszeit bis heute kaum an die Gelder ihrer Eltern und Verwandten kommen. Viele Vermögen wurden – Schweizer Bankgeheimnis – nicht unter dem persönlichen Namen angelegt, sondern unter anonymen Nummern, Phantasienamen oder durch Treuhänder. Aus Sicherheitsgründen wurden keine Kontoauszüge verschickt. Wenn nach dem Krieg die Erben nur den Familiennamen nennen konnten, war nichts zu finden. Dann kassierten Banken, Rechtsanwälte und Treuhänder die Vermögen ein.

Juden wurden in Konzentrationslagern gefoltert, um Vollmachten zu erpressen. Damit reisten NS-Beauftragte in die Schweiz und ließen sich die Vermögen überschreiben. Ebenso überschrieben die Basler, Züricher und Winterthur-Versicherung Zehntausende Lebensversicherungen von Juden auf die Reichsbank. Schweizer Banken kauften europaweit geraubte Wertpapiere direkt von den Deutschen, zu tiefem Hehlerkurs. Sie fälschten die Herkunftsnachweise und verkauften die Wertpapiere mit hohen Gewinnspannen weiter. Angesehene Institute wie der Schweizerische Bankverein und die Bank Vontobel gehörten zu regelrechten Fälscherringen. Balzli erwähnt Konten deutscher NS-Prominenz wie Göring, Goebbels, Schacht, Abs und von Ribbentrop. Er schildert ausführlich das große Spektrum verdeckter Finanzoperationen deutscher Unternehmen in der Schweiz, beispielsweise bei der internationalen Patentverwertung und bei der Ausstellung überhöhter Rechnungen.

Der britische Autor Tom Bower nutzte die neu geöffneten US-Archive sowie Unterlagen des World Jewish Congress' und von US-Senator d'Amato. Er dokumentiert Lebens- und Leidensgeschichten von Juden, die von Schweizer Banken nach 1945 immer wieder abgewiesen wurden, weil sie den Totenschein ihrer in Auschwitz vergasten Eltern nicht vorweisen konnten. Bower schildert das „Safehaven“-Programm: Nach 1945 sollte das deutsche Vermögen in der Schweiz konfisziert werden. Die Schweiz, aber auch die Alliierten ließen das wegen eigener Verwicklung in NS-Geschäfte scheitern. Mit kommunistischen Regierungen traf die Schweiz nach 1945 Geheimabkommen: Sie lieferte die Vermögen von polnischen Holocaust-Opfern an Polen usw. aus, damit wurde enteignetes Vermögen von Schweizer Unternehmen in Polen usw. entschädigt.

Die kanadische Journalistin Isabel Vincent schreibt aus der Perspektive von Holocaust-Opfern, die sich nicht von der jüdischen Lobby vertreten fühlen. Tausende von ihnen führen durch amerikanische Anwälte Massenklagen gegen Schweizer Banken, Firmen und Versicherungen. Vincent geht dem „gut organisierten und meist gesetzlich sanktionierten Raub jüdischen Eigentums in ganz Europa“ nach. In Deutschland, Österreich und in den besetzten Ländern mußten die Juden ihren gesamten Besitz registrieren lassen, dann zu lächerlichen Preisen verkaufen. In all diesen Ländern standen Helfer in Nadelstreifen bereit. Allein in Deutschland lebten 500.000 Juden, deren Lebensunterhalt zu 60 Prozent aus kleinen und mittleren Unternehmen kam; viele Juden waren Selbständige wie Ärzte und Rechtsanwälte. Wieviel Vermögen in Europa zusammengeraubt wurde, ist noch nicht einmal in Umrissen zu schätzen. Das Rote Kreuz war seit 1942 über die KZs informiert, tat aber nichts, nicht zuletzt auf Druck von Regierung und Unternehmen der Schweiz. Dagegen verhalf das Rote Kreuz vielen Nazis nach 1945 zu falschen Pässen und ermöglichte Flucht und Vermögenstransfer nach Südamerika, zum Beispiel dem SS-Hauptsturmführer Erich Priebke.

Der ehemalige Spiegel-Redakteur Peter Koch beschäftigt sich nur am Rande mit den „herrenlosen“ Konti, sondern geht den Bankbeziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland nach. Zum Beispiel: Die SS besaß ein Aktienpaket der IG Farben, sie parkte es in einer Schweizer Tarnfirma. Die nach wie vor in der Schweiz angesiedelte IG Farben in Liquidation ist nach der deutschen Vereinigung zum größten Grundeigentümer in der ehemaligen DDR aufgestiegen. 1933 wurde in Berlin die Deutsch-Schweizerische Verwaltungsbank eröffnet, damit Schweizer Anleger deutsche Firmen und Gründstücke günstig erwerben konnten; für Darlehen wurde „entjudeter“ Grundbesitz als Sicherheit genommen. Der Bankier von der Heydt, dem die August-Thyssen-Bank gehörte, wurde 1937 von der Schweiz eingebürgert. Er verwaltete bei der Schweizerischen Bankgesellschaft und der Kreditanstalt mindestens 17 Treuhandkonten der SS und ihrer Wirtschaftsbetriebe. Ein von Hermann J. Abs ausgehandeltes „Ablösungsabkommen“ regelte 1952 die Rücküberführung von getarntem deutschem Besitz in der Schweiz durch die Zahlung von 121 Millionen Mark von Bonn an Bern: Die Schweizer Treuhänder verdienten doppelt, und das Schweigen war gesichert, vorerst.

Beat Balzli: „Treuhänder des Reichs. Die Schweiz und die Vermögen der Naziopfer – eine Spurensuche“. Werd Verlag, Zürich 1997, 340 S., 39,80DM

Tom Bower: „Das Gold der Juden. Die Schweiz und die verschwundenen Nazi-Milliarden“. Blessing, München 1997, 416 S., 44,80 DM

Isabel Vincent: „Das Gold der verfolgten Juden. Wie es in den Schweizer Tresoren verschwand und zur Beute der Banken und Alliierten wurde“. Diana Verlag, München/Zürich 1997, 334 S., 38,80 DM

Peter Ferdinand Koch: „Geheimdepot Schweiz. Wie Banken am Holocaust verdienen“. List Verlag, München 1997, 320 S., 34 DM