"Mit dieser Schuld kann ich kaum leben"

■ Souhaila Andrawes ist die einzige aus der Kidnappergruppe, die 1977 den Sturm auf die Lufthansa-Maschine in Mogadischu überlebte. Heute wird sie von Hamburg nach Norwegen überstellt, um dort ihre Re

taz: Frau Andrawes, Sie haben Deutschland nur hinter Gittern und auf der Anklagebank kennengelernt. Was bleibt, wenn Sie jetzt nach Norwegen überstellt werden: der Blick zurück im Zorn?

Souhaila Andrawes: Ich kann nicht verstehen, daß ein Land, das 1978 in einem Dokument erklärt hat, daß es kein eigenes Strafverfolgungsinteresse mir gegenüber hat, nach fast 20 Jahren meine Auslieferung beantragt und mich verurteilt. Ich bin bereits in Somalia für die Entführung verurteilt worden. Als ich dort begnadigt wurde, hieß es: Sie sind jetzt eine freie Frau. Ich habe danach stets unter meinem richtigen Namen gelebt und bin niemals mit dem Gesetz in Konflikt gekommen – nicht mal ein Strafmandat habe ich erhalten. Trotzdem bin ich jetzt zum zweiten Mal für ein und dieselbe Tat verurteilt worden.

Wie erklären Sie sich, daß die deutschen Behörden sich nach fast 20 Jahren an Sie erinnert haben?

Der Staatsanwalt hat mir erklärt: Vor zwanzig Jahren hatten wir Angst davor, daß ein Prozeß gegen Sie in der Bundesrepublik terroristische Anschläge zur Folge gehabt hätte. Diese Angst haben wir heute nicht mehr.

Das Interesse der Bundesanwaltschaft bestand möglicherweise vor allem darin, Sie als Kronzeugin gegen die Frankfurterin Monika Haas zu präsentieren, die Sie ja in einer Vernehmung belastet haben, die Waffen für die „Landshut“-Entführung nach Mallorca transportiert zu haben.

Das dachte ich anfangs auch. Seit ich die Bedingungen der Bundesanwaltschaft für meine Überstellung nach Norwegen kenne glaube ich aber, daß es vorrangig um Rachegefühle und Genugtuung geht.

Können Sie das genauer erklären?

Die Bundesanwaltschaft hat zur Bedingung gemacht, daß ich weder begnadigt noch nach der Hälfte der Haftzeit entlassen werde. Daß die deutschen Behörden ausschließen wollen, daß ich in Norwegen möglicherweise sofort auf freien Fuß komme, kann ich fast noch nachvollziehen. Aber warum darf es nach der Hälfte der Haftzeit keine Freiheit für mich geben? Jeder Ausländer, der in der Bundesrepublik zu einer Haftstrafe verurteilt wird, wird normalerweise nach Verbüßung der Hälfte seiner Strafe freigelassen und in sein Heimatland abgeschoben.

Die Bundesregierung hat nun durchgesetzt, daß Sie in Oslo mindestens zwei Drittel Ihrer Haftzeit absitzen müssen.

Und nach dieser Zeitspanne muß ich einen Antrag auf vorzeitige Entlassung nicht etwa an die norwegischen, sondern an die deutschen Behörden richten, die dann allein darüber entscheiden können.

Sie reden viel über das Unrecht, das Ihnen Ihrer Meinung nach in Deutschland widerfahren ist. Haben Sie einmal darüber nachgedacht, welches Leid Sie den Geiseln zugefügt haben, die während der Entführung der „Landshut“ tagelang um ihr Leben zittern mußten?

Mit dieser Schuld kann ich bis heute kaum leben. Nur damals – als junges Mädchen – erschien mir dieses Leid gering im Vergleich zu all dem, was ich im Libanon mit eigenen Augen gesehen habe.

Und dieses Unrecht wollten Sie durch eine Flugzeugentführung ungeschehen machen?

Damals habe ich eine solche Aktion als einzige Chance gesehen, der Stimme des palästinensischen Volkes weltweit Gehör zu verschaffen.

Nebenbei sollten aber noch ein paar Gefangene der RAF und palästinensischer Organisationen freigepreßt werden.

Von den RAF-Gefangenen wußte ich gar nichts – davon habe ich erst während der Entführung von Akache, dem Chef des Kommandos, erfahren. In den palästinensischen Organisationen gab es Führer und Soldaten. Die Soldaten erfuhren nur das, was sie zur Erfüllung ihrer Aufgabe unbedingt wissen mußten. Wir wollten die Freilassung von zwei palästinensischen Gefangenen erzwingen und Geld von Deutschland erpressen. Das war, was ich wußte. Möglicherweise hätte ich an der Entführung auch teilgenommen, wenn ich informiert gewesen wäre. Ich hätte nicht zwangsläufig zwischen palästinensischen und deutschen politischen Gefangenen unterschieden. Aber ich hatte wirklich lange Zeit keine Ahnung davon, daß es auch darum ging, Gefangene aus der RAF freizubekommen. Als ich im Flugzeug davon erfahren habe, war das ein Schock. Ich war unglaublich wütend auf meine Organisation.

Haben Sie das Fernsehspiel „Todesspiel“ sehen können?

Ich habe es hier im Hamburger Frauengefängnis gesehen. Noch während der Sendung hatte ich einen Nervenzusammenbruch.

Dabei hatten Sie sich selber den Autoren des Films als Interviewpartnerin zur Verfügung gestellt.

Mir wurde versprochen, daß ich die Möglichkeit habe, Sachen die falsch dargestellt wurden, aus meiner Sicht zu korrigieren. Doch aus dem Interview wurden nur drei ganz kurze, nichtssagende Passagen gesendet. Da wurde nur das verwendet, was zu der Botschaft des Filmes paßte.

Wo deckt sich das „Todesspiel“ nicht mit Ihrer Erinnerung?

Die Schauspieler hatten nichts mit den realen Personen zu tun. Wir waren keine amerikanischen Cowboys. Es sind einfach viele Kleinigkeiten erfunden worden, die unser Kommando in ein bestimmtes Licht rücken sollen. So ist – nur ein kleines Beispiel – Akache nie wie ein Verrückter auf den Sitzen der Maschine herumgeturnt. Der Film legt auch zumindest nahe, daß die Passagiere die gesamte Zeit nicht auf die Toilette durften. Das war natürlich nur ganz am Anfang der Entführung so. Zudem wurde nur eine Seite der ganzen Aktion dargestellt.

Was wurde verschwiegen?

Wir haben – wo es nur möglich war – versucht, den Passagieren zu helfen und ihnen die Situation erträglich zu machen. Es herrschte zeitweise eine entspannte Atmosphäre im Flugzeug, in der durchaus Gespräche zwischen beiden Seiten möglich waren. Auch die Fotos, auf denen die Passagiere mit freundlichen Gesichtern zu sehen sind, waren nicht gestellt.

Vor Gericht haben viele Zeugen das Verhalten des Kommandos aber nicht als besonders humanitär dargestellt.

Ich möchte nicht darüber spekulieren, was in den Köpfen einiger Zeugen vorgegangen ist. Zum Teil wurden ganz andere Aussagen gemacht, als sie in den Vernehmungsprotokollen nachzulesen sind, die kurz nach der Entführung aufgenommen wurden. Plötzlich sagt eine Stewardeß aus, daß wir die Angst der Passagiere zum Teil mit einem höhnischen Lachen kommentiert hätten. Vor zwanzig Jahren hat sie eine solche Aussage nicht gemacht. Wieso taucht eine solche angebliche Erinnerung nach so langer Zeit plötzlich auf?

Sie haben sich während Ihres Prozesses gegen solche Behauptungen kaum gewehrt.

Ich war freundlich auch zu den Zeugen, die mich belastet haben. Ich wollte allen zeigen, wie mein wahrer Charakter ist. Aber davon haben die Medien nichts nach außen transportiert. Die Presse hat statt dessen dem Bild der brutalen Terroristen immer neue Nahrung gegeben. Da wurde etwa darüber berichtet, daß der Co-Pilot im Gerichtskorridor erzählt haben soll, wir hätten die Passagiere mit Benzin überschüttet, damit sie nach einer Explosion besser brennen würden. Während der Verhandlung hat er aber das Gegenteil behauptet. Davon ist fast nichts nach außen gedrungen.

Auch wenn „nur“ die Gänge mit Benzin übergossen worden sein sollten, spricht eine solche Vorbereitung doch dafür, daß die Sprengung der Maschine und die Ermordung aller Passagiere durchaus im Kalkül des Kommandos lag.

Nein, niemals. Unsere Instruktionen waren, so etwas auf keinen Fall zu tun.

Was denken Sie heute über „terroristische“ Aktionen?

Ich kann das nicht verdammen, auch wenn ich solche Aktionen für sinnlos halte. Bevor ich die Hintergründe kenne, würde ich so etwas aber nie pauschal verurteilen.

Wie haben Sie Ihr Urteil aufgenommen?

Ich wurde – ohne jeden Beweis – auch wegen Mittäterschaft an der Erschießung von Kapitän Schumann verurteilt. Ohne einen einzigen Anhaltspunkt dafür zu haben, hat mir das Gericht unterstellt, ich hätte die Ermordung gebilligt. Die Ermordung von Kapitän Schumann war nie Bestandteil unseres Planes. Der Co-Pilot hat ausgesagt, daß er bis zum letzten Moment nicht daran geglaubt hat, daß Akache Schumann töten würde. Mir ging es genauso. Soll ich jetzt alle Schuld auf mich nehmen, weil ich die einzige Überlebende des Kommandos bin?

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Akache Schumann erschoß?

Es war furchtbar. Ich kannte Akache vor der Entführung ja überhaupt nicht. Für ihn entwickelte sich die Auseinandersetzung mit Schumann zunehmend zu einem persönlichen Konflikt um Ehre und Autorität, zwischen zwei „Kapitänen“. Ich glaube, daß er sich bis zum allerletzten Moment nicht darüber im klaren war, ob er ihn wirklich töten würde.

Es gibt das berühmte Bild, wo Sie nach der Erstürmung der „Landshut“ durch die Anti-Terroreinheit GSG 9 schwerverletzt auf der Bahre liegend Ihre Finger zum Victory-Zeichen ausbreiten und „Kill me, kill me!“ schreien. Was ist in diesem Moment in Ihnen vorgegangen?

Da brachen in einem existentiellen Moment einfach Gefühle aus mir heraus. Jemand riß meinen Kopf nach hinten, damit ich fotografiert werden konnte. Ich habe versucht, mein Gesicht mit dem Arm zu schützen, weil ich nicht wollte, daß jemand mich so fotografiert. Ich hatte das Gefühl zu sterben und wollte – ohne darüber nachzudenken – für alle Palästinenser, die diese Bilder zu sehen bekommen würden, ein Zeichen der Hoffnung setzen. Daß auch durch unseren Tod ein gerechter Kampf nicht zu Ende ist. „Kill me, kill me“ habe ich gerufen, weil ich entsetzliche Angst davor hatte, daß man mich foltert, um Informationen über den palästinensischen Widerstand zu bekommen.

Seit damals gehen Sie an Krücken.

Ich bin immer eine sehr aktive Person gewesen. Das war mit einem Schlag vorbei. Als ich schon auf dem Boden lag, hat ein Mann der GSG 9 versucht, mich zu töten. Nur durch Glück habe ich überlebt. Der Lungendurchschuß hat keine langfristigen Konsequenzen für mich gehabt. Aber an den Knien bin ich neunmal operiert worden, ohne daß die Schmerzen, die bis in den Rücken hochziehen, abgeklungen wären.

Hier im Hamburger Frauengefängnis bewegen Sie sich – anders als während der Gerichtsverhandlungen – ohne Krücken und Rollstuhl.

Ich versuche es. Das verschleißt die Knie, aber ich will Norwegen unbedingt ohne Krücken betreten. Die Medien sollen sich nicht die ganze Zeit mit meiner Gesundheit beschäftigen und mich als kranke, schwache Frau darstellen.

Was haben Sie nach dem Ende Ihrer Haftzeit in Somalia gemacht?

Ich war erst sechs Monate in der Tschechoslowakei, anschließend im Libanon und später in Syrien. Ich habe dort zusammen mit meinem Mann einen kleinen Verlag betrieben. Dann mußte mein Mann Syrien verlassen, weil wir Schriften gedruckt hatten, die sich gegen jede Art von Terrorismus wenden. Mein Mann wollte nach Kanada, aber ich wollte gern nach Europa. In Norwegen leben viele Menschen aus arabischen Ländern, und so sind auch wir 1991 dort gelandet.

Dadurch, daß Sie Monika Haas in Norwegen belastet haben, sind Sie im Haas-Prozeß zur Kronzeugin wider Willen geworden, auch wenn Sie Ihre Osloer Aussagen nicht wiederholt haben.

Diese Aussage, die ich vor keinem Gericht wiederholt habe, kann meines Wissens nicht gegen Monika Haas verwendet werden. Aber ich will mich dazu nicht näher auslassen, bevor ich meinen Informationsstand an diesem Punkt komplettiert habe.

Haben Sie noch Wünsche für Ihre Zukunft?

Ich werde weiterhin alles versuchen, um begnadigt zu werden. Ich werde nicht aufhören, gegen diese ungerechte Strafe zu kämpfen – und wenn ich dafür bis vor den Europäischen Gerichtshof ziehen muß. Interview: Marco Carini