Freiheit für litauische Nazi-Kollaborateure

■ Aus den USA ausgewiesene Kriegsverbrecher haben in Litauen bislang nichts zu befürchten. Verfahren werden verschleppt oder finden gar nicht erst statt

1941 wurden die deutschen Besatzer in Litauen meist freudig begrüßt. Lokale Kollaborateure und Agenten hatten den Boden bereitet, und nach der sowjetischen Okkupation im Jahre 1940 schienen die Nazis immer noch das kleinere Übel zu sein. Ideologische Speerspitze war die Litauische Aktivisten Front (LAF). Schon am Tag des deutschen Einmarschs riefen sie in Flugblättern zum Judenmord auf. Etwa 220.000 litauische Juden wurden ermordet, auf den Erschießungsplätzen wie Pona, 15 Kilometer von der Hauptstadt Wilna entfernt, oder im Fort IX in Kaunas mordeten litauische Freiwillige der Sicherheitspolizei Saugumas.

Der Leiter dieser litauischen Sicherheitspolizei in Wilna war Aleksandras Lileikis. Er stand nicht persönlich an den Erschießungsgruben, sondern unterzeichnete die sogenannten „Todeskarten“ für die „Erschießungsaktionen“. Genau vor einem Jahr wiesen ihn die Vereinigten Staaten aus, da er bei der Einreise in den fünfziger Jahren falsche Angaben gemacht hatte. Einige Tage vor der angeordneten Zwangsausweisung flüchtete er freiwillig nach Litauen, da ihm dort, wie er Journalisten erzählte, „Gerechtigkeit erwarten würde“.

Seitdem tut sich in Litauen wenig. Zwar wurde der 90jährige von der Staatsanwaltschaft Wilna bei seiner Ankunft verhört, aber Anklage wurde dennoch nicht erhoben. Im März protestierte der israelische Botschafter für die drei baltischen Länder, Oded Ben Hur, beim litauischen Präsidenten Algirdas Brazauskas persönlich. Im Gepäck hatte er eine Note von 92 Knesset-Abgeordneten aus Israel, die auf einen sofortigen Beginn des Verfahrens drängten. Doch der Protest lief ins Leere. Zwar kündigte die Staatsanwaltschaft von Wilna am 24. Juni dieses Jahres eine Anklageerhebung an, aber eine vom Gericht eingesetzte Ärztekommission lehnte dies ab. Lileikis Gesundheitszustand lasse kein Verfahren zu, erklärte die Kommission. Auch eine zweite von der Staatsanwaltschaft eingesetzte Kommission kam in der vergangenen Woche zu dem gleichen Ergebnis.

Efraim Zuroff, Direktor des Simon Wiesenthal Centers in Jerusalem, findet dies eine „zynische Wendung“. In einem Brief vom 17. Juli wies er Präsident Brazauskas darauf hin, daß der Gesundheitszustand von Lileikis bei der Einreise nach Litauen noch ganz ausgezeichnet gewesen wäre. Sein Verfahren hätte schon längst beginnen können, denn entsprechend den Akten des amerikanischen „Office for Special Investigation“ (OSI) sei der Fall Lileikis einer der bestdokumentierten Fälle von Kriegsverbrechen in Litauen überhaupt.

Zuroff erinnerte den Staatschef an seine vielbeachtete Erklärung vor dem israelischen Parlament, der Knesset, im Jahre 1995, in dem Brazauskas sich für die Taten seiner Landsleute entschuldigt und versprochen hatte, daß in Litauen Kriegsverbrecher „öffentlich, gewissenhaft und bewußt“ verfolgt würden. Brazauskas solle seinen „Worten nun endlich auch Taten folgen lassen“. So lebe nicht nur Lileikis unbehelligt in Litauen, sondern auch sein damaliger Stellvertreter Kays Gimzauskas. Wenigstens gegen ihn solle endlich Anklage erhoben werden.

Gimzauskas, der sich aktiv an den Judenmorden beteiligt haben soll, wurde ebenfalls 1996 aus den USA ausgewiesen und wohnt seitdem in Wilna. Nach Angaben von Zuroff gibt es heute mindestens elf aus den USA ausgewiesene Kriegsverbrecher, die in Litauen immer noch nicht vor Gericht gestellt sind.

Die Association of Lithuanian Jews in Israel wies jetzt auf die steigende Anzahl antisemitischer Vorfälle im Lande hin. So durfte eine Boulevardzeitung zu Ostern ungehindert Ritualmordlegenden verbreiten, und eine antisemitisches Gedicht gewann den ersten Preis bei einem nationalen Lyrik-TV- Wettbewerb. Litauen liegt eben nur geographisch in der Mitte von Europa. Samuel Laster