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China schiebt Boat people ab

60 vietnamesische Flüchtlinge werden aus Hongkong in ihre Heimat geschickt. Angeblich plant die Führung in Peking, Hunderte weitere Vietnamesen in China zu internieren  ■ Aus Hongkong Sven Hansen

Heute sollen 60 sogenannte Boat people aus Hongkong nach Vietnam abgeschoben werden. Es sind die ersten Abschiebungen von Hongkong in das südostasiatische Land, seitdem die Volksrepublik China am 1. Juli die Hoheit über die Stadt übernommen hat. Noch am Wochenende hatten vier Vietnamesen mit der Besetzung eines Gefängnisdaches gegen ihre Abschiebung demonstriert. 20 Polizisten bereiteten dem verzweifelten Protest auf dem Victoria-Gefängnis am Sonntag ein Ende.

In der Vergangenheit hatte Peking Druck auf die britische Kolonialregierung gemacht, sie solle den Aufenthalt der Boat people in der Stadt noch vor der Rückgabe Hongkongs beenden. Dies gelang jedoch nicht. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) befinden sich noch rund 2.000 Flüchtlinge aus Vietnam in Hongkong. Davon sind 1.300 als politische Flüchtlinge anerkannt. Sie warten darauf, daß für sie ein Aufnahmeland gefunden wird. Hongkong ist für die meisten der 240.000 vietnamesischen Flüchtlinge, die in die frühere britische Kolonie gelangten, nur Durchgangsstation. Die Stadt selbst hat bisher nur 694 Flüchtlingen aus Vietnam ein Daueraufenthaltsrecht gewährt.

178 der verbliebenen Boat people sind nicht als Flüchtlinge anerkannt. Ihnen droht die Abschiebung. Während vor 1989 automatisch alle Boat people als politische Flüchtlinge galten, werden seither die Fluchtgründe überprüft. Bis zum vergangenen Mai konnte, wer nicht anerkannt wurde, im Rahmen eines besonderen Programms mit finanziellen Anreizen „freiwillig“ zurückkehren. 57.400 Vietnamesen ließen sich auf dieses Angebot ein, 9.600 wurden abgeschoben. Abschiebung droht jetzt auch tausend weiteren Vietnamesen, die als illegale Einwanderer gelten und von denen nur fünf Asyl beantragt haben. Da sie nach 1995 nach Hongkong kamen, fallen sie nicht unter die Zuständigkeit des UNHCR.

Ungelöst sind die Fälle von 500 „staatenlosen“ Vietnamesen chinesischer Abstammung, die weder von Hanoi noch von Peking als Staatsbürger anerkannt werden und deshalb nicht ausgewiesen werden können. Ihre Odyssee begann meist 1979 im chinesisch-vietnamesischen Krieg. Der UNHCR will, daß sie als Staatenlose anerkannt werden, damit für sie ein Drittland gesucht werden kann.

Doch auch die Zukunft der 1.300 anerkannten Flüchtlinge ist offen. „Die letzten sind immer die schwierigsten Fälle“, sagt UNHCR-Sprecherin Preeta Law. Sie schätzt, daß nur noch für 200 von ihnen überhaupt ein Aufnahmeland gefunden werden kann. Fehlende Akten, Krankheit, Drogenabhängigkeit oder Vorstrafen machen für den Rest eine Vermittlung so gut wie unmöglich.

Phan Khanh ist einer von ihnen. Er lebt im abseits in den New Territories gelegenen Lager Pillar Point. Das offene Camp für anerkannte Flüchtlinge besteht aus 47 verblichenen, zwei- und dreistöckigen Holzbaracken und hat heute noch 1.000 Bewohner. Phan lebt mit seiner Frau und den sechs Kindern im 18 Quadratmeter großen Zimmer 07 im grünen Block 28. Dem 37jährigen und seiner Familie gelang 1988 die Flucht nach Hongkong. Er habe in Vietnam kein Geschäft gründen können, sagt er zum Motiv seiner Flucht, die damals automatisch als politisch galt. „1990 wollten die USA mich und meine Familie aufnehmen. Vor der Abreise kaufte ich einige Geräte, doch wir wurden von einem anderen Flüchtling bestohlen. Ich erwischte den Dieb, es kam zum Kampf, er starb“, erzählt Phan emotionslos. Er kam zwei Jahre ins Gefängnis. Seit seiner Freilassung wartet Phan darauf, daß ein Land ihn und seine Familie aufnimmt. „Jedes Land wäre okay, das meine Situation versteht.“

„Wir reißen Familien nicht auseinander“, sagt Paul Meredith, der in dem vom UNHCR geführten Lager für Umsiedlungen zuständig ist. „Wurde einer kriminell oder drogenabhängig, verminderte das die Umsiedlungschancen seiner ganzen Familie.“ Meredith schätzt, daß rund 10 Prozent der Vietnamesen in Pillar Point drogenabhängig sind. Dies wurden sie allerdings erst in Hongkong. 1991 gab es elf geschlossene, gefängnisartige Lager und drei vom UNHCR geführte offene Camps, heute noch jeweils eins. Während anerkannte Flüchtlinge arbeiten und die Camps verlassen können, sind sie bis zur Anerkennung oder Abschiebung in den geschlossenen Lagern auf engstem Raum zum Nichtstun verdammt. Der Lagerfrust bietet für Hongkongs kriminelle Geheimgesellschaften einen günstigen Nährboden.

Hongkongs neue Regierung hat noch nicht erkennen lassen, wie sie mit den letzten Boat people umgehen will. UNHCR-Sprecherin Law meint, es müsse über Lösungen in Hongkong nachgedacht werden. Pam Paker von der Beratungsgruppe Refugee Concern will von Plänen gehört haben, daß Boat people in Lager nach China geschickt werden sollen. Sie schlägt vor, alle bisherigen Aufnahmeländer sollten noch jeweils 20 Familien aufnehmen. „Dann wäre das Problem gelöst.“

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