Willkommen im Theater Zerbrochene Fenster Von Carola Rönneburg

Noch vor wenigen Monaten hatte jemand, der von „Broken Windows“ sprach, Ärger mit einem Produkt aus dem Hause Gates. Dann entdeckten Zeit, Spiegel und Gerhard Schröder das Thema Innere Sicherheit, und seither steht auch hierzulande „Broken Windows“ für die erfolgreiche Bekämpfung von Verbrechen und Verwahrlosung in Großstädten. Allgemeine Einigkeit herrscht über den Ursprung der Theorie von den zerbrochenen Fenstern: Wenn eine eingeschlagene Scheibe in einem leerstehenden Haus nicht sofort ersetzt wird, konstatierten der Politologe James Q. Wilson und der Kriminologe George Kelling vor 15 Jahren, werden die anderen auch kaputtgeschmissen, im Anschluß versumpft die Nachbarschaft.

Schwieriger wird es bei dem berühmten „Zerkloppte Autos“-Experiment, dem Ausgangspunkt der Broken-Windows-Theorie. Übereinstimmend berichteten Zeit und Spiegel, daß der Psychologe Philip Zimbardo vor 27 Jahren zwei identische Autos in unterschiedlich guten Wohngegenden parkte. Eines stellte er im ordentlichen Palo Alto ab, das andere ließ er in der Bronx stehen. Laut Zeit schraubte er allerdings in der Bronx noch flink die Nummernschilder ab und ließ die Motorhaube des Fahrzeugs offenstehen: „Binnen Stunden wurde es von Passanten zerstört.“ Der Spiegel wiederum will wissen, daß Zimbardo an beiden Wagen die Nummernschilder entfernte: In der Bronx wurde das Auto „innerhalb von zehn Minuten“ und „von Vandalen“ auseinandergenommen.

Gleicher Meinung sind Wochenzeitung und Nachrichtenmagazin wieder, wenn es um den Fortgang des Experiments geht. Während nämlich in Villa Bajo schon alles in Trümmern lag, blieb der Wagen in Villa Alto unbehelligt – bis Zimbardo ein Seitenfenster einschlug. Nun machten sich auch die Bewohner Palo Altos über die Karre her.

Leider hat es keiner der Kollegen aus Hamburg übers Herz gebracht, das Zimbardo-Experiment samt eigener Versuchsanordnung zu wiederholen. Daher übernahm ich in der letzten Woche die Aufgabe, die Gültigkeit der Fenster- und Autotheorie zu überprüfen, allerdings ohne Autos: mein Spesenantrag wurde abgelehnt. „Die taz bekennt sich zum autofreien Nahverkehr“, wurde mir beschieden.

Bei meiner Untersuchung stellte ich eine mit pelzigem Schimmel überwucherte Kaffeetasse in den dritten Stock des Treppenhauses in der Kochstraße. Eine weitere Tasse mit frischgebrühtem Kaffee plazierte ich in der sechsten Etage. Dann wartete ich gespannt auf die Entwicklungen. Nicht lange – bereits nach einer halben Stunde war im zweiten Stock die Hölle los: Neben meiner Schimmeltasse stapelten sich schmutzige Heftchen und angebissene Brote; Männer liefen mit freiem Oberkörper durch die Flure. Die Frauenredaktion hörte auf, ihren Efeu zu gießen, Meinungsredakteure warfen Klopapierschlangen auf die Straße, und Praktikanten gaben freche Widerworte. An einer Wand prangte ein riesiges Grafitto: „Schröder greif durch – we love you“. Bevor alles noch schlimmer kommen konnte, schlug ich ein Fenster ein und rief nach der Polizei.

Die Kaffetasse im sechsten Stock blieb dagegen unberührt. Inzwischen hat sie etwas Schimmel angesetzt.