Regen
Regen, wie nichts sonst beständig.
Im Osten, sobald die Wehrkraft verbraucht ist,
brechen die Deiche. Es fängt
mit freundlichen Meldungen an,
mit Wasserstandsmessung
und beschriftetem T-Shirt für die Techno-Jugend.
In einem Schlauchboot geht die Fahrt
mit der Kamera weiter, immer landeinwärts
Richtung Insel. Noch gibt es sie ja,
die trockenen Burgen, die Ratten,
die aufs Oberdeck flüchten,
die noch nicht verbrauchten Reservebestände
in den Nischen des Überlebens.
Die irren, zornigen Flüsse aber,
sie strecken sich aus, ihre Adern platzen,
eine Lawine aus Schlamm reißt sich frei
aus der verschwiegenen Tiefe
einer anderen, ernsteren Geschichte,
aufwärts, schon in den Untergeschossen,
aufwärts, mit dem Regen,
der beständig herabstürzt aus gebrochenen Wolken.
Der Krisenstab ist aufgelöst worden,
das Rathaus ist leer. Reporter
schwimmen eilig vorüber und winken
mit dem Schweißtuch ihrer Fernsehanstalten.
Ein letztes Quiz macht die Runde und lobt
eine Flugroute aus. Mit dem Ballon geht es auf
in die Ferien, überall Freizeitlandschaft,
badende Kinder. Fröhlich im Wind
treiben die Segel.
Kurt Drawert
Kurt Drawert, geboren 1956, wuchs in Dresden auf, studierte am Leipziger Literaturinstitut und lebt heute als Schriftsteller in Darmstadt