Sammelklage trotz Schweizer Liste?

■ Ein US-Richter entscheidet heute über die Zulässigkeit einer Klage gegen die Schweizer Banken. Auf der Liste stehen möglicherweise auch die Namen von Nazis

Berlin (taz) – Dem 31. Juli bibbern die Schweizer Banken schon lange entgegen. Der US-Bezirksrichter des New Yorker Stadtteils Brooklyn, Edward Korman, wird heute entscheiden, ob die Sammelklage von Privatklägern gegen die Schweizer Banken wegen ihres Umgangs mit den verschollenen Vermögen von Holocaust-Opfern zugelassen wird oder nicht. Am Vormittag will er die Konfliktparteien – die Anwälte der Kläger, den amerikanischen Senator D'Amato und die Schweizerische Bankiervereinigung – anhören, und am Nachmittag dann bekanntgeben, ob die Klagen gemäß der Bundeszivilprozeßordnung überhaupt zulässig sind.

Ursprünglich wollte Richter Korman über die 400-Millionen- Dollar-Klage schon Anfang Mai entscheiden. Dieser Termin wurde auf heute verschoben, unter anderem weil die Schweizer Bankiervereinigung mit der Veröffentlichung der Liste über 1.756 nachrichtenlose Konten die Flucht nach vorne angetreten hatte. Damit und mit der Ankündigung, am 20. Oktober eine weitere Liste mit etwa 20.000 Namen zu veröffentlichen, hatte sich die Möglichkeit einer außergerichtlichen Auseinandersetzung abgezeichnet.

Im Vorfeld der Gerichtsentscheidung kam es zu einem Konflikt in der „Unabhängigen Kommission zur Eruierung nachrichtenloser Konten von Holocaust- Opfern“. Sie hatte zusammen mit der Eidgenössischen Bankenkommission das Procedere – die Veröffentlichung der Liste – festgelegt. Am 24. Juni hatte der Vorsitzende der „Unabhängigen Kommission“, der frühere US-Notenbankchef Paul Volcker, Richter Korman in einem Brief darauf hingewiesen, daß eine Sammelklage die Arbeit seiner Kommission stark erschweren würde. Sie könnte zu einem „Punkt der Wirkungslosigkeit“ führen, wenn der Richter die Herausgabe der von der Kommission gesammelten Dokumente verlangen würde.

Avraham Burg, Chef der Jewish Agency und Kommissionsmitglied, griff am Wochenende Paul Volcker scharf an. Er habe mit seinem Brief zugunsten der Schweizer Banken interveniert und vertrete in diesem Punkt nicht die Meinung aller Kommissionsmitglieder. Schockiert zeigten sich auch Vertreter des Jüdischen Weltkongresses. Volcker habe seine Kompetenzen „strapaziert“ und für sein Schreiben das offizielle Briefpapier der „Unabhängigen Kommission“ benutzt.

Inzwischen zeigt sich, daß die letzte Woche veröffentlichte Liste wie ein Geschichtsbuch gelesen werden kann. Unter den Namen finden sich neben Vojtech Tuka, dem 1946 gehenkten Ministerpräsidenten des früheren Nazi-Vasallenstaates Slowakei, zwei Mitglieder der faschistischen Ustascha- Bewegung in Kroatien. Über Nikola Kostrencic, der 1946 Selbstmord verübte, sollen die Geldzahlungen für Hitlers Truppen in Kroatien abgewickelt worden sein. Genannt wird auch der frühere Außenminister und Schwager des faschistischen Diktators Franco, Ramon Serrano Suner. Der 96jährige lebt noch und gab an, das Konto für seine Kinder eröffnet zu haben.

Die Züricher Kantonalbank bestätigte inzwischen, daß zwei von ihnen als nachrichtenlos gemeldete Konti prominenten Nazis gehört haben könnten. Hinter Willi Bauer könne sich Anton Burger, stellvertretender Kommandant des KZs Theresienstadt, verbergen, und hinter Elise Eder die Witwe von Ernst Kaltenbrunner, einem der Architekten der Judenvernichtung. Auf der Liste genannt sind auch Kurt Herrmann, Heinrich Ernst Hofmann und Hermann Eser. Herrmann ist vermutlich identisch mit dem Juwelier von Hermann Göring und Ariseur der Schmuckhandlung Gebrüder Friedländer in Leipzig. Hofmann ist vielleicht mit dem Leibfotografen Hitlers identisch, der sich mit „ff“ schrieb und nach dem Krieg an seine Konten in der Schweiz nicht mehr herankam. Und Eser könnte der frühere Vizereichstagspräsident sein, ein Nazi der ersten Stunde. Zu klären ist, ob Karl Jäger, SD-Chef von Litauen und verantwortlich für den Tod fast aller litauischen Juden, identisch ist mit dem Karl Jäger, der in der Schweizer Liste als „Kontobevollmächtigter“ aufgeführt wird. Er war Vorstandsmitglied der I.G. Farben.

Die auflagenstarke israelische Tageszeitung Yedioth Acharonot titelte einen Artikel über das Nebeneinander von Tätern und Opfer auf der Liste mit: „Man macht sich über uns lustig“. Ephraim Zuroff, Direktor des Simon-Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem, schätzt sogar, daß nur 20 Prozent der genannten Kontobesitzer Juden sind. Sowohl die Simon-Wiesenthal-Zentren in Jerusalem, Los Angeles, Wien als auch die NS- Fahndungsstelle in Ludwigsburg sowie die Schweizerische Bankiervereinigung prüfen jetzt gründlich, ob sich auf der Liste noch mehr Nazis befinden. So gab das Wiesenthal-Zentrum am Dienstag bekannt, daß möglicherweise der Name eines österreichischen Professors auf der Liste stehe, der im Konzentrationslager Dachau grausame Experimente mit Salzwasser an Gefangenen durchführte. Nun werde geprüft, ob der auf der Liste genannte Hans Eppinger aus Wien mit dem Professor identisch sei, der sich nach Ende des Krieges vor dem Kriegsverbrechertribunal in Nürnberg verantworten sollte.

Die Aufregung um die Schweizer Liste hat weltweit den Umgang mit den nachrichtenlosen Konten in den Mittelpunkt gerückt. Denn im Unterschied zu der Schweiz fallen in anderen Ländern wie den USA oder England die Guthaben „herrenloser Konten“ nach unterschiedlich langen Schamfristen an den Staat. Das israelische Parlament hatte kürzlich der Regierung von Großbritannien vorgeworfen, sich auf diese Weise „zig Millionen Pfund“ angeeignet zu haben. Aber auch in Israel gibt es solche „Altkonten“. Zum großen Teil wurden sie während der britischen Mandatszeit für und von jüdischen Siedlungen angelegt und fielen 1948 an den Staat Israel. Anita Kugler