Gewinner Lafontaine

■ Scheitern der Steuerreform schadet Bonner Koalition

In diesen Tagen darf sich SPD-Parteichef Lafontaine als Gewinner fühlen. Während Koalition und Opposition sich wechselseitig die Schuld für das Scheitern der Steuerreform zuschieben, kann er sich entspannt zurücklehnen. Schließlich hat er die Position der SPD festgezurrt. Inzwischen vertreten selbst jene seine Linie, die, wie der Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau, zunächst als unsichere Kantonisten galten.

Zwar wird die Koalition versuchen, die SPD im Bundestagswahlkampf als Blockadepartei anzuprangern, doch auch der Wähler weiß, daß es ihr nicht gelungen ist, die Steuerreform zu verwirklichen. Opposition hin oder her – verantwortlich für die Regierungspolitik ist immer noch die Koalition. Die Schuld für ihre Tatenlosigkeit kann sie nicht auf die SPD abwälzen. Denn dies bedeutete, daß die Regierung nicht viel mehr Einfluß als die Opposition hätte. Ob mit einer solchen Mitleidstour Wahlen zu gewinnen sind, ist fraglich.

Anfang des Jahres konnte sich die Regierung noch Hoffnung machen, daß die SPD sich über die Steuerreform zerstreiten würde. Neben Voscherau schienen auch Niedersachsens Gerhard Schröder sowie Fraktionschef Rudolf Scharping wesentlichen Vorstellungen der Koalition nicht abgeneigt. So befürworteten sie eine Senkung des Spitzensteuersatzes auf 40 Prozent. Es kursierte sogar ein Papier des finanzpolitischen Sprechers der SPD, Joachim Poß, demzufolge alle Einkunftsarten gleichbehandelt werden sollten, also die Besteuerung der Nacht-, Sonntags- und Feiertagszuschläge sowie der Renten.

Doch von Meinungsverschiedenheiten war zuletzt nichts mehr zu hören. Unter Lafontaine ist die Einsicht gereift, daß seine einige Truppe 1998 tatsächlich den Machtwechsel schaffen kann. Dem SPD-Chef kam dabei zugute, daß die Steuerschätzung im Mai die Zerrüttung der öffentlichen Kassen im vollen Ausmaß enthüllte. Kaum noch jemandem war zu vermitteln, wie eine zusätzliche Nettoentlastung von 30 Milliarden Mark verkraftet werden sollte. Hatte Lafontaine nicht immer gesagt: Wir wollen erst die Steuerschätzung abwarten, bis wir ein eigenes Konzept vorstellen? Sein Zaudern hat sich als seriös erwiesen. Die Regierung steht jetzt mit leeren Händen da. Sollte Schröder Kanzler werden, erntet er die Früchte, die Lafontaine gesät hat. Markus Franz