Schwitzen wie in der Sauna

Hamburg unterirdisch, taz-Serie, Teil 4: Der Fernwärmetunnel der Hamburgischen Electricitätswerke führt in 27 Meter Tiefe unter dem Freihafen her  ■ Von Heike Haarhoff

Schacht 17, Strecke 7211. Die Koordinaten des Abstiegs in die Tiefe liegen gleich neben dem Kraftwerk-Hafen am Dalmannkai: Ein mausgrauer Wellblech-Container mitten im Freihafen, schlicht wie ein Schuppen für Baugeräte, das ist der Eingang zum „Hafentunnel“der Hamburgischen Electricitätswerke (HEW). Schon beim Öffnen der Containertür wird klar, weshalb die HEW betonen, der „Hafentunnel“sei ihr Fernwärmetunnel. Eine Gluthitze wie aus dem Backofen schlägt einem entgegen.

Rohrnetzmeister Heinz Müller ist daran gewöhnt. Mit dem flotten Schritt eines Saunagängers mit Jahreskarte führt er seine keuchenden Besucher vorbei an technischen Anzeigetafeln mit Zeigern, Zählern und blinkenden Knöpfen hin zur Treppe. „So, hier jetzt runter.“

15 löchrige Gitterstufen bis zum ersten Treppenabsatz. Durch das Raster fällt der Blick 27 Meter tief. Überall verlaufen dicke, metallfarbene Rohre. Am Boden, an den Wänden, an der Decke. Dampfleitungen, Kondensatorleitungen, Rücklaufrohre, Vorlaufrohre. Durchmesser 60 Zentimeter und mehr. Durch sie wird rund um die Uhr millionenkubikmeterweise Wasser geschleust. Wasser, das brodelt und kocht. Das im Kraftwerk Hafen erhitzt und durch die unterirdischen Rohre in die Heizkeller tausender Häuser fließt. „Fernwärme“heißt dieses System. Angeschlossen sind das Rathaus, Krankenhäuser, Mietwohnungen. Der „Hafentunnel“ist der Anfang des 600 Kilometer langen Fernwärmenetzes, von dem Hamburg unterwandert ist.

Ich war noch nie in den Tropen, aber der Tunnel ist schon ganz ordentlich. Für Brillenträger ist er eigentlich unzumutbar, beschlägt ja immer alles. Man hat ständig Druck auf den Ohren, als würde man tauchen. Glücklicherweise muß hier niemand regelmäßig arbeiten, nur bei Reparaturen. Die können neun Stunden dauern. *

Die Temperatur steigt mit jedem Schritt abwärts. 40 Grad, 50 Grad. Die Rohre sind schlecht isoliert. Deswegen geben sie so viel Hitze ab. Schwingt die Treppe? Oder ist es nur der Kreislauf? Immerhin gibt es ein Geländer. Und Neonlicht.

So um Stufe 80 herum versagt die Zählgenauigkeit des menschlichen Hirns. Schätzungsweise nach Nummer 100 ist der Tiefpunkt erreicht, 27 Meter unter dem Freihafen. Das ist die Stelle, an der das Wirrwarr aus Dampfleitungen, Kondensatorleitungen, Rücklaufrohren und Vorlaufrohren plötzlich in wohlgeordneten Bahnen parallel zueinander in den schmalen Tunnel mündet. 420 lange und vor allem heiße Meter geht es jetzt schnurstracks geradeaus. Jeder Schritt ist quälend. Die Hitze lähmt. Draußen braucht ein Spaziergänger für einen Kilometer eine Viertelstunde. Hier unten schafft man höchstens 150 Meter. Gut 70 Zentimeter ist der Gang breit, 1,90 Meter hoch. Sein Ende ist nicht in Sicht. Schweiß läuft die Stirn, den Bauch, den Rücken hinab, verklebt in der Kleidung. Egal. Bloß weiter.

Als wir den Tunnel 1963/64 bauten, hatte man die Technik noch nicht, Rohre – so wie heute – in der Erde zu vergraben. Wir hatten Angst, sie würden den Erdmassen nicht standhalten. Also wurde ein begehbarer Tunnel gegraben. *

Rohre rechts an der Wand, Leitungen links. Rotfunkelnde Notrufknöpfe und grün-gelbe Schilder mit Pfeilen bilden die einzige Wanddekoration. 27 Meter über den Köpfen plätschert der Zollkanal, einige Meter weiter das St. Annenfleet.

Ich glaube, es war das erste Mal, daß in Hamburg mit einer Schildvortriebmaschine gebohrt wurde; der Elbtunnel ist ja erst 1975 eingeweiht worden. Das Grundwasser mußte weggedrückt werden. Das war im Freihafen nicht leicht. Dann wurden die Röhren mit einem Kran unter die Erde gebracht und dort zusammengebaut. Aber das Material war so hart, daß die Bohrmaschinen kaputt gingen. *

Der unterirdische Spazierweg wird plötzlich durch ein Loch in der linken Wand unterbrochen: der Mittelschacht. Von ihm zweigen einige Heißwasser-Rohre Richtung Kaffeespeicher ab. Auch die Speicherstadt soll nicht frieren.

Das war damals ein Meisterstück der Ingenieurtechnik. Unser Chef war sehr stolz. Wollte den Tunnel immer allen vorführen und legte großen Wert darauf, daß alles blitzt. Alle Nase lang mußten wir wegen ihm runter, die Rohre im Tunnel putzen – mit so einem Sauggerät. Und die Leitungen haben wir wie Messinghähne geputzt. *

Was, wenn in dieser Tiefe ein Rohr platzt? Die Feuerwehr probt hier zuweilen Katastropheneinsätze. Eine Bahre lehnt wie vergessen an der Wand.

Bei Hochwasser wurden die Fluten auch mal in den Tunnel gedrückt. Kniehoch stand dann hier das Wasser. Da war ich immer unten, nächtelang, mit meiner Lampe, um zu kontrollieren, ob wir notfalls das Kraftwerk abschalten müssen. Meistens mußten wir nicht. Wir hatten ja Pumpen. *

Ein Schild, nach einer halben Stunde Fußmarsch endlich Abwechslung, „Zippelhaus“steht drauf. Weiter geradeaus. Warum bloß hat niemand an Eiswürfel gedacht? Dann, ein Schimmer, da ist sie, die rettende Fluchttür aus Drahtgitter. Hinter ihr führt eine Treppe nach oben zum Ausgang „Zippelhaus“– in die Kühle des Hamburger Sommers. Doch im selben Moment, als die Hände nach der Türklinke greifen, erfassen die Augen die Botschaft des Warnschilds vom Zollamt: Die Tür ist verplombt. Zugang hat nur der Zoll. Damit Whisky, Teppiche und Kaffee nicht heimlich aus dem Freihafen geschmuggelt werden.

Es hilft nichts als den Rückweg anzutreten. 420 Meter drückende Tunnel-Hitze, diesmal im Laufschritt, keuchend, dafür aber in nur 15 Minuten. Dann noch die 100 Gitterstufen im Eiltempo hinter dem Rohrnetzmeister her, vorbei an den Anzeigetafeln, durch die graue Containertür – verschwitzt, müde, aber nach eineinhalb Stunden wieder an der frischen Luft.

* Alle kursiven Zitate stammen von Rolf Maaßen, Tunnel-Elektriker, 59 Jahre alt.

Hamburg unterirdisch, Teil 5: Wo Schmuckschatullen, Aktienpakete und Geldbündel lagern – ein Hamburger Banktresor und sein Wächter, Freitag, 8. August