Aufgebauschte Anklage gegen linke Aktivisten

■ Wegen teilweise absurder Vorwürfe sitzt ein Autonomer bereits drei Monate in U-Haft. Aussagen von Polizisten entlasten ihn vor Gericht: „Sehr gute Kooperation“

Von einer schweren Anklage wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz und Widerstandes gegen einen Mann aus der autonomen Szene ist bei der Verhandlung am Mittwoch kaum etwas übriggeblieben. Vor dem Amtsgericht Tiergarten wurde der seit fast drei Monaten Inhaftierte am Mittwoch weitgehend entlastet. Zusammen mit zwei anderen war Gunnar K. am Morgen des 5. Mai festgenommen worden.

Wegen benzingefüllter Flaschen im Rucksack seiner Begleiterin Eva W. seien die drei zunächst für mehrere Brandanschläge in einer Nacht verantwortlich gemacht worden, erklärte Verteidiger Rolf-Reiner Stanke. Wegen entlastender Zeugenaussagen sei dieser Vorwurf schon bei der Haftprüfung auf einen Verstoß gegen das Waffengesetz reduziert worden. Zudem seien die bei den Brandanschlägen verwandten Molotowcocktails technisch nicht identisch gewesen.

Unter Hinweis auf einen Präzendenzfall, bei dem der bloße Besitz von Brandflaschen zu einer Verurteilung zu zweieinhalb Jahren Haft geführt hatte, habe die Staatsanwältin den Haftrichter aber von der Notwendigkeit einer Untersuchungshaft überzeugen können, so Stanke. „Erst später kam dann heraus, daß der damals Verurteilte die Flaschen nicht nur dabeihatte, sondern auch einen Brandanschlag versucht hatte.“

Während die Mitangeklagten Justus I. und Eva W. Ende Mai vorläufig freigelassen wurden, blieb Gunnar K. in Haft, da ihm die Anklage nun weitere Vergehen vorwarf. So soll er nach einer Anti- Atomkraft-Demo am 8. Februar „Polizisten mit Springerstiefeln angegriffen haben, ohne sie zu treffen“. Anschließend habe er versucht, sich seiner Festnahme durch „Drehen und Winden“ zu widersetzen. Zwei Tage später, so die Anklägerin, habe er einen unangemeldeten Trauerzug für einen in Magdeburg getöteten Punker in Kreuzberg veranstaltet.

Vor Gericht wollte nur ein Polizist die Tritte gesehen haben. Eine Verletzung von Polizisten sei zudem nicht festzustellen gewesen. Bei der Festnahme sei der Angeklagte „nicht aggressiv, sondern eher widerwillig“ gewesen, so ein weiterer Polizist. An die Schuhe des Angeklagten konnte sich kein Beamter erinnern.

Den angeblichen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz entkräftete anschließend der den Trauermarsch begleitende Einsatzleiter der Polizei: „Ich habe die Teilnehmer des bis dahin chaotischen Umzugs aufgefordert, jemanden für die Kommunikation mit uns zu benennen.“ Erst daraufhin habe sich Gunnar K. angeboten und die weitere Demoroute mit ihm abgesprochen. Die Kooperation sei gut verlaufen. Nach dieser Aussage wollte selbst die Staatsanwältin diesen Anklagepunkt fallenlassen.

Der Vorwurf, mit den Benzinflaschen Baustellen in Brand gesetzt haben zu wollen, wurde wegen Erkrankung der dritten Angeklagten nicht verhandelt. Gunnar K. bleibt vorläufig in Haft. Die Richterin drängte auf eine zügige Fortsetzung der Verhandlung am kommenden Mittwoch. Gereon Asmuth