■ Das Portrait
: Manchen mehr als ein Dorn im Auge

In katholischen Gegenden kann man ihm kaum entgehen: dem Kruzifix. Der ans Kreuz geschlagene Sohn Gottes, der mit einem Dornenkranz gekrönte „König der Juden“ hängt in den Klassenzimmern und in der Staatskanzlei, an Hauswänden und in Gerichtssälen, aber auch am Rande von Weinbergen, auf Berggipfeln und am Rande von Autobahnen. Überall dort eben, wo ein kurzes Gebet Unglück verhindern könnte.

Nach christlichem Verständnis soll es als ein Symbol für den Tod und die Auferstehung Jesu, ein Zeichen für den Segen Gottes und die enge Verbindung zwischen Gott und Mensch verstanden werden. Kreuzesdarstellungen als magische und religiöse Zeichen kommen jedoch in vielen Kulturen vor. Aber nur im Christentum ist das Kreuz mit dem Leichnam Christi zum Inbegriff von Opfer und Leiden geworden.

Das war nicht immer so. Nach Jesu Tod haben es die Christen fast vier Jahrhunderte lang vermieden, ihn auf diese Weise darzustellen – die Hinrichtungsszene galt als viel zu realistisch: Jesus sollte nicht als Unglücklicher gezeigt werden, sondern als glücklich Hoffender. Erst nach Ende der Christenverfolgung und dem Toleranzedikt von 313 durch den römischen Kaiser Konstantin dem Großen – das den Christen im ganzen römischen Multikultireich freie Religionsausübung zusicherte – erschien das Kreuz in der christlichen Kunst auf Mosaiken und Sarkophagen.

Jesus wurde als König und Weltherrscher dargestellt, das Kreuz war Zeichen für das Heil und die Erlösung der Welt – gerade die Ärmsten unter den Mühseligen und Beladenen wollten an Gott nicht nur glauben, sondern seinen Sohn zumindest als Figur sehen können. Im Mittelalter, als die christliche Religion in Europa den Ton angab, veränderte sich die Gestalt des Gekreuzigten. Jesus neigte sich zur Seite, das Gesicht wurde schmerzverzerrt, der nun nackte, gefolterte Leib hing in den Balken: ein Symbol, dem das in der Bibel formulierte Liebesgebot als erste Christenpflicht nicht anzusehen war. Doch diese Deutung des Jesus Christus als Folteropfer ist unter Christen umstritten.

Für Kritiker des Christentums ist das Kreuz ein historisch belastetes Symbol. Unter dem Zeichen des Kreuzes zogen die Legionen von Kaiser und Kirche auf ihre Kreuzzüge. JaF