Kruzifixe müssen hängen bleiben

Bayerisches Verfassungsgericht wies die Klage von Freidenkern und Grünen zurück. Wer das Kreuz in staatlichen Schulen nicht ertragen will, ist weiter verpflichtet, seine Gründe zu nennen  ■ Von Jan Feddersen

Berlin (taz) – In Bayerns Grund-, Haupt- und Sonderschulen müssen christliche Kreuze vorerst hängen bleiben. Der Verfassungsgerichtshof in München entschied gestern, daß das sogenannte Kruzifixgesetz weder das Grundrecht der Glaubensfreiheit noch das Gebot staatlicher Neutralität in Religionsfragen verletzt. Das Gericht wies damit die Klagen des Bundes für Geistesfreiheit sowie mehrerer Privatpersonen, darunter auch neun Landtagsabgeordnete der Grünen, ab.

Das Kruzifixgesetz war 1995 von der CSU-Mehrheit im Münchner Landtag nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe beschlossen worden. Karlsruhe hatte eine Vorschrift der bayerischen Volksschulordnung für verfassungswidrig erklärt, die das Anbringen von Kreuzen in den Schulen zur Pflicht machte. Bayern hatte vor diesem Hintergrund ein Sondergesetz formuliert, nach dem das Kruzifix weiterhin in staatlichen Schulen aufgehängt werden müsse, hiergegen aber begründeter Einspruch eingelegt werden kann. Gegen dieses bayerische Sondergesetz hatten der Bund für Geistesfreiheit und der Vater einer zehnjährigen Schülerin aus Augsburg geklagt. Die Beschwerde von neun grünen Landtagsabgeordneten richtete sich nur gegen die Pflicht, einen Widerspruch gegen das Kreuz begründen zu müssen. Das sei ein Verstoß gegen das verfassungsrechtlich verbürgte Schweigerecht über religiöse Überzeugungen.

Hildegund Holzheid, Präsidentin des bayerischen Verfassungsgerichts, meinte in ihrer Begründung des Urteilsspruchs, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stehe dem Kruzifixgesetz nicht entgegen. Ausschlaggebend für die Richter in Karlsruhe sei gewesen, daß die Schulordnung früher keine Ausweichmöglichkeit zugelassen habe. Es stehe nicht im Widerspruch zur Verfassung, daß Andersdenkende „ernsthafte und einsehbare Gründe“ darlegen müssen, erklärte sie für ihr Richterkollegium, dessen Mitglieder größtenteils auf Vorschlag der CSU bestimmt werden. Das Schweigerecht könne nur innerhalb bestimmter Grenzen ausgeübt werden. Ohne Begründungspflicht müsse jeder Widerspruch zum Erfolg führen, hieß es in der bayerischen Urteilsbegründung. Der Widersprechende hat der Entscheidung zufolge „darzulegen, inwieweit sich aus der von ihm vertretenen Weltanschauung ernsthafte Gründe gegen das Kreuz- Symbol ableiten“. Darüber hinaus müsse er seine privaten Überzeugungen nicht preisgeben.

Gegen die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes kündigte der Vater der zehnjährigen Schülerin, Dieter Michalke, Beschwerde in Karlsruhe an. Er war von dem Urteil „nicht überrascht, aber enttäuscht“. „Für Justitia, die nicht christlichen Ursprungs ist, war es ein schwarzer Tag.“

CSU-Politiker begrüßten hingegen das Urteil. Die Richter hätten klargemacht, „daß der Wille Andersdenkender zwar zu berücksichtigen ist, die Minderheit aber der Mehrheit diesen nicht aufzwingen kann“, so CSU-Generalsekretär Bernd Protzner. SPD und Grüne bedauerten die Entscheidung. Bayerns Kultusminister Hans Zehetmair erklärte, seit Einführung des Gesetzes habe es in Bayern bei 60.000 Schulklassen erst einen Fall gegeben, in dem das Kreuz entfernt werden mußte. Portrait Seite 11