Colonia Dignidad ist jetzt kopflos

■ Der zweite Mann der deutschen Sektensiedlung in Chile setzt sich ab. Auch gegen ihn wurde ermittelt

Buenos Aires/Berlin (taz) – Die Nummer zwei der Colonia Dignidad, der 52jährige Hartmut Hopp, hat sich in der Nacht zum Freitag von Chile mit einer Linienmaschine der chilenischen Fluggesellschaft in die argentinische Andenstadt Mendoza abgesetzt. Mitgenommen hat der Chef des Krankenhauses der Colonia seine Frau, Dorothea Witthahn, seinen Adoptivsohn Michael, die Stiefschwester des Sektenchefs Paul Schäfer, Rebekka, und ein weiteres Sektenmitglied namens Friedhelm Zeitner. Wohin die Gruppe von Mendoza aus weitergereist ist, ist nicht bekannt.

Mit dem Abgang Hopps ist der Colonia Dignidad die letzte Figur abhanden gekommen, die die Gemeinschaft nach außen vertreten hatte. Der 76jährige Führer Paul Schäfer ist seit einem Jahr untergetaucht, weil er wegen Kindesmißbrauchs per Haftbefehl gesucht wird, der langjährige offizielle Präsident Hermann Schmidt ist nach Angaben aus der Colonia vor einigen Monaten gestorben.

Hopp sollte gestern vor einem Gericht in der südchilenischen Stadt Parral erscheinen. Er soll seinen Adoptivsohn einer Analphabetin mit einem billigen Betrügertrick gestohlen haben. Mit der Begründung, das Kind müsse operiert werden, gab er der Mutter statt der Einweisungspapiere für das Krankenhaus eine Adoptionsurkunde in die Hand, auf die sie nichtsahnend ihren Daumenabdruck setzte. Hopp mußte nun damit rechnen, daß seine Verhaftung kurz bevorstand.

Der Pressesprecher der chilenischen Polizei, Oscar Pizaro, verteidigte sich gegen Vorwürfe, die Behörden hätten die fünf Sektenmitglieder laufenlassen: „Es gab keine rechtlichen Möglichkeiten, die Reise zu verbieten, die sie mit deutschen Pässen angetreten haben“, sagte er. Im Bonner Auswärtigen Amt zeigte man sich gestern gegenüber der taz offiziell noch nicht über den Aufenthaltsort Hopps informiert.

Schon 1957 war der damals 13jährige Hopp in einem Jugendheim der Sekte im deutschen Siegburg mehrfach von Schäfer sexuell mißbraucht worden. 1961 ging er mit nach Chile, als sich Schäfer in Deutschland einem Haftbefehl wegen Vergewaltigung von Kindern entziehen mußte. Nachdem Hopp in Chile einen Fluchtversuch unternommen hatte, baute Schäfer ihn systematisch auf, ließ ihn in Santiago de Chile und in den USA Medizin studieren – ohne aber die Kontrolle über Hopp zu verlieren. Sogar die Ehefrau suchte Schäfer ihm aus: die 15 Jahre ältere Dorothea Witthahn, mit der er jetzt geflohen ist.

Als Arzt und schließlich Direktor des Krankenhauses der Colonia wurde Hopp mehrfach beschuldigt, persönlich an Mißhandlungen und Folterungen in der Colonia beteiligt gewesen zu sein. Bei der Staatsanwaltschaft Bonn ist seit 1985 ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung und Freiheitsberaubung gegen Hartmut Hopp anhängig (Az. 50 Js 285/85) – dennoch konnte er mehrmals völlig unbehelligt die Bundesrepublik aufsuchen. Das hatte vielleicht etwas mit einigen guten Kontakten zu tun – unter dem Titel „Der Lagerarzt von der CSU“ schrieb jedenfalls der Stern 1989, Hopp sei selbst Mitglied der Partei. In der Münchner Zentrale wurde das gegenüber der taz gestern dementiert.

Der Abgang des Hartmut Hopp dürfte auch im Zusammenhang mit der Flucht zweier junger Sektenmitglieder aus der Colonia Dignidad in der vergangenen Woche zu sehen sein. Beide, der 24jährige Deutsche Tobias Müller und der 18jährige Chilene Zola Luna, haben inzwischen mehrere Stunden lang den chilenischen Ermittlungsbehörden Rede und Antwort gestanden. Ingo Malcher, Bernd Pickert