Unter dem Diktat der Maschinen

Sauber, hell und modern ist Hamburgs neues Briefverteilzentrum – doch viele der ArbeiterInnen sind fertig mit den Nerven  ■ Von Christine Holch

„Das ist vielleicht 'ne Sauklaue!“Ist das nun eine „1“oder eine „7“? Die Frau am Computer murrt kurz auf. Dann ist wieder nur das Klackern der Tastaturen zu hören. Die Frauen im Videocodierraum sind höchst konzentriert. Auf den Bildschirmen ziehen im Sekundentakt die Adressfelder jener Briefe vorbei, die die Maschine nicht entziffern konnte. Acht Prozent sind solche Problemfälle. Sie werden von Menschen gelesen.

Doch ansonsten machen vor allem Maschinen die Arbeit im neuen Briefverteilzentrum an der Plöner Straße in Altona. Im größten Verteilzentrum der Republik werden 85 Prozent aller Briefe maschinell gestempelt und sortiert. Im bisherigen Zentrum, dem Hühnerposten am Hauptbahnhof, waren es rund 30 Prozent. Die Rationalisierung kostete Arbeitsplätze: Die befristeten Verträge, rund zehn Prozent, werden nicht erneuert. Die rund 1500 Festangestellten dagegen zogen mit um in das neue Gebäude. Doch die Stimmung unter den ArbeiterInnen, die meisten davon Frauen, ist gedämpft.

„Es ist richtig scheiße geworden“, sagt eine Arbeiterin. Sicher, die Arbeit sei „sauberer und leichter“– es müßten keine 25-Kilokisten mehr rumgewuchtet werden. „Aber die Luft ist furchtbar.“Im Schnitt herrschen in der Flachdachhalle 27 Grad, oft über 30. Beim Bau wurde vergessen, daß solch ein riesiger Maschinenpark Wärme abgibt. Bereits im April, kurz nach der Eröffnung, monierten die ArbeiterInnen das drückende Klima. Doch es mußten, so sehen sie das, erst ein paar umkippen, bevor die Generaldirektion in Bonn vergangene Woche versprach, nach einer Lösung zu suchen.

Es ist nicht nur die schlechte Luft, warum viele Frauen jetzt aufhören wollen. Es ist das Diktat der Maschinen. „Der Hühnerposten war im Vergleich zu dieser Postfabrik fast ein Wohnzimmer“, sagt Christina K. (34). Da konnte man miteinander sprechen. Jetzt stehen die Frauen weit auseinander.

Kontakt aber ist wichtig bei dieser eintönigen Arbeit, sagen sie, zumal in den Nachtstunden. Früher, da fuhren Menschen die Briefkisten an die Arbeitsplätze. Und trugen gleichzeitig Tratsch von einer Arbeiterin zur nächsten. Heute laufen die Kisten auf Schienen über den Köpfen der Menschen, kippen ihren Inhalt automatisch gesteuert ab.

Früher war keinesfalls alles besser – da mußten schwere staubige Säcke zwischen den fünf Stockwerken hin und her und wieder zurück transportiert werden. Aber es gab Zeitnischen. Man konnte schnell mal auf dem Klo eine Zigarette rauchen. Dabei achteten die Frauen durchaus darauf, daß keine für länger verschwand. Heute sind die Maschinen so miteinander vertaktet, daß alles ins Stocken gerät, wenn das Band nicht gleich geleert wird.

Die Betriebsräte mögen zu solchen Klagen nicht recht was sagen, denn die kleinen Verschnaufpausen waren auch früher nicht vorgesehen. Tariflich erlaubt sind 13 Minuten Pause in einer vierstündigen Schicht. Nur – wie kommt man in 13 Minuten in die Kantine und wieder zurück? „Wenn man Pech hat, geht man hier fünf Minuten bis zur Kantine“, erzählt eine Frau. Irmgard K. (57) ergänzt: „Es gibt keine nahen Aufenthaltsräume mehr.“Auch fast keine Sitzplätze mehr. An manchen Maschinen müsse man stundenlang stehen – da helfe auch der neue Gummiboden nicht viel.

Es sind diese Veränderungen, die die Frauen quälen. Für Außenstehende vielleicht nur kleine, für die Frauen aber wesentliche: Denn viele haben, wenn sie am späten Nachmittag oder abends zur Schicht kommen, schon einen Arbeitstag hinter sich – den in der Familie.

Jetzt fühlen sie sich vollständig den Maschinen unterworfen. „Viele haben resigniert oder sind stinksauer, manche sind krank“, sagt eine Arbeiterin, die nicht genannt werden will. „Selbst Hartgesottenen reicht es.“

Postsprecher Peter Lichte sieht das Problem mit der Umstellung durchaus: „Es war familiär und gemütlich im Hühnerposten. Das vermissen die Damen natürlich. Aber da werden sie mit der Zeit drüber hinwegkommen. Der Fortschritt hat seinen Preis. Aber die Konkurrenz ab 1998, wenn die Post ihr Monopol verliert, zwingt uns dazu, mehr zu mechanisieren.“

Doch irgendetwas scheint schiefgegangen zu sein bei der Modernisierung der Hamburger Postverteilung: „Man hat in dieser riesigen Fabrik kein inneres Bild mehr davon, daß es wichtig ist, was man da tut“, sagt Christina K. Dabei kommt es jetzt genau darauf an, meint Betriebsrat Peter von der Lieth: „daß die Leute sich für das Unternehmen Post engagieren“.

Gegen die Anonymität hat die Zentrale nun ein Zauberwort ausgegeben: „Mitarbeiterkommunikation“. „Aber das Bewußtsein dafür wächst erst allmählich“, so der Betriebsrat. „Es geht nicht, daß ein Aufseher einen Zettel hinhängt – 2000 Sendungen pro Stunde, oder es setzt was –, sondern er muß den Leuten vermitteln, was davon abhängt.“

Ja, meint Christina K., das Bemühen sieht sie schon – ihr Vorgesetzter hat jetzt sogar eine Sprechstunde eingerichtet, „aber es herrscht keine Einigkeit über den Führungsstil“. Und der Ton stimme noch nicht. Es heißt, daß viele ehemalige Bundeswehrsoldaten bei der Post untergekommen sind als Aufseher. Eine Arbeiterin hat zu hören bekommen: „Wenn Ihnen zu warm ist, gehen Sie doch in die Kirche.“Sie schüttelt den Kopf: „Soll ich da noch einen einzigen Gedanken auf die Post verschwenden?“