■ Vorschlag
: Voll drauf: Drei kurze Filme von Calle Overweg im Babylon-Kino

Die Kneipe „Holsten-Eck“ am Zoo, der Übungsraum des „härtesten Karatetrainers in Europa“, ein Moskauer U-Bahnhof – es gibt drei Schauplätze, an denen die drei Kurzfilme Calle Overwegs spielen. Munterkeit darf man hier nicht erwarten. Der Regisseur ist auf der Suche nach harter Lebenswirklichkeit. Doch gerade die findet er hier nicht. Die Leute lügen ihm munter in die Kamera hinein. Und Calle Overweg hält voll drauf. Aber der Reihe nach:

Im Holsten-Eck ist Fußball-WM und Deutschland siegt. Fettbauchige Hosenträgerträger grölen ständig „Deutschland!“. Dann besucht man sie zusammen mit dem Regisseur zu Hause und darf erleben, daß sie manchmal auch „Hertha!“ grölen, oder daß sie sogar Krankenpfleger sind. Held des Films ist jedoch der Klomann des Holsten-Ecks, der fleißig der Kneipe stillstes Örtchen pflegt, während alle andern im Deutschlandrausch taumeln. Gefragt, ob er glücklich sei, bestätigt er dies lächelnd: Doch, er habe, was er brauche, der Job sei schließlich kein schlechter, er sei zuverlässig, arbeite sich schon noch weiter nach oben. Im Abspann heißt es dann, der Mann sei verschwunden, nur eine Woche nach seinem Filmauftritt, niemand wisse was von ihm. Wahrscheinlich sei er wieder auf der Straße.

Dann ein Film über die Trainigsmethoden des „härtesten Karatetrainers Europas“, wie er sich nennt, der seine Schüler wie Kampfhunde aufpeitscht, mit Stöcken prügelt und SS-artig niederbrüllt. Man denkt: Nun stürzt euch doch mal auf ihn, den Wahnsinnigen! Ihr seid doch so viele, laßt euch das nicht gefallen! Die Stimmen nach dem Training aus dem Off murmeln dann was von „Toll, wie der uns quält!“, „Allein könnt' ich das nie“, „Freu mich schon auf nächstes Mal“. Sehr komisch.

Und dann hat Overweg noch einen Film gemacht über fünf sehbehinderte Musikanten, die in Moskaus U-Bahnhöfen russische Volkslieder spielen. Das ist der schönste der drei Filme, eine Idylle des gelebten Kollektivs: Man nahm sein kleines Leben in die Hand und machte fortan den Menschen und sich selbst mit seinem Spielen in der U-Bahn Freude. Am Abend zählt man Geld (viel mehr, als in jeder Fabrik zu verdienen wäre) und erzählt einander Witze. Wolodja macht noch nebenbei ein wenig Orgelmusik im Krematorium, trinkt Wodka und erzählt vom Leben, das das beste sei, so, wie es ist. Der Abspann weiß: Wolodja hat sich zu Tode getrunken, nur zwei Wochen nach seinem letzten gefilmten Auftritt, wo er das Leben lobte und den Wodka auch.

Der frohe Klomann, die gequälten Karateka, der heitere Wolodja. Sie haben für die Kamera posiert. Die Wahrheit über ihr Leben erfährt man erst, wenn keiner mehr filmt. Volker Weidermann

Am 4.8., 22.30 Uhr, und 7.8., 20 Uhr (anschl. Gespräch mit Calle Overweg), im Babylon, Rosa-Luxemburg-Str. 30, Mitte