Wissentlicher Kindstod auf Haiti

Die Hamburger Helm AG wußte von dem verunreinigten Glycerin, das ihre Tochterfirma nach Haiti exportiert hat. Dort wurde Hustensaft aus dem Gift, über 60 Kinder starben  ■ Aus Amsterdam Falk Madeja

Das Leugnen der Verantwortlichen half eine Weile, doch nun scheinen die Pharmahändler dank Recherchen des NRC Handelsblad überführt. Das niederländische Pharmaunternehmen Vos, Tochter der Hamburger Helm AG, wußte von der Verunreinigung chinesischen Glyzerins, das Vos via Rotterdam und Amsterdam nach Haiti brachte. Dort wurde das angeblich 98prozentiges Glyzerin zu Paracetamol-Sirup, einem fiebersenkenden Mittel, verarbeitet und damit zum Todestrank für mehr als 60 Kindern.

Die grauenhaften Todesfälle ereigneten sich 1995. Vos hatte bislang bestritten, wissentlich verunreinigtes Glyzerin nach Haiti geschickt zu haben; Schuld hätte die haitianische Pharmafabrik Pharval. Diese hätte die Lieferung aus Holland prüfen müssen. Man habe selbst das Glyzerin aus China nach Westeuropa gebracht, es in einem Rotterdamer Hafenmagazin zwischengelagert und dann im Vertrauen auf die chinesische Wertarbeit via die deutsche Handelsfirma CTC und den Hafen Amsterdam in die Karibik weiterverkauft.

Die Verantwortlichen von Vos und der weltweit tätigen Helm AG – mit über sechs Milliarden Mark Umsatz einer der größten Pharmahändler – haben gelogen. Journalist Hans Buddingh konnte im NRC Handelsblad als schriftlichen Beweis ein chemisches Gutachten über das Glyzerin vorlegen. Aus der Hamburger Firmenzentrale hatte es bislang geheißen, man habe eine Probe des chinesischen Glyzerins gezogen, diese aber nicht untersucht.

Falsch. Das Glyzerin wurde am 21. 2.1995, kurz vor seiner Verschiffung nach Haiti, in einem Labor der SGS Laboratory Service in Dordrecht untersucht. Die Referenznummer 3137/01 sei sowohl auf dem Laborprotokoll als auch in Lieferpapieren in Haiti zu finden. Nachweislich handelte es sich demnach um eine Mischung, die nur 53,9 Prozent Glyzerin enthielt. Trotzdem klebten Vos-Mitarbeiter Etiketten mit der Aufschrift „GLYZERINE 98 PCT USP“ (98 PCT bedeutet 98 %) auf die Fässer. Vos wollte sich ebensowenig zu den Vorwürfen äußern wie die Helm AG, deren Vorstandssprecher Jörn Hinrichs dem Handelsblad lediglich mitteilte, eine „objektive Wiedergabe der Fakten sei über die Presse nicht möglich“. Die Vos setzt mit 65 Menschen jährlich 100 Millionen Gulden (etwa 90 Mio. Mark) um, die Helm AG, eine der größten europäischen Handelsfirmen für pharmazeutische und chemische Stoffe, mit 1.300 Menschen in mehr als 30 Ländern etwa 6 Milliarden Mark.

Vielleicht gelingt nun die Wahrheitsfindung vor Gericht. In den USA untersucht bereits die „Food and Drug Administration“ im Auftrag der Behörden Haitis den Fall. In den USA, Deutschland und in den Niederlanden drohen den Firmen Schadenersatzklagen in Höhe von 16 Millionen Dollar, die Anwälte vorbereiten.