Heute kein Hochwasser. Burroughs tot

■ Der rauschhafte Lüstling, das Vorbild der Popkultur, der Insektenvernichter, Barmixer, Junkie, Privatdetektiv, der Schriftsteller und der „Vater der Beat generation“, William Seward Burroughs, ist mit 83 gestorben

Berlin (taz) – 29 Cent kostet ein Burroughs. Soviel ist die Marke wert, auf der ein Herr mit Hut und zerknittertem Gesicht zu sehen ist. Zur US-Briefmarke haben es neben ihm Leute wie Elvis, James Dean oder Humphrey Bogart gebracht. Daß William S. Burroughs, der mit seinen biographischen Skandalen und pornographischen, gewalttätigen Texten die USA der fünfziger Jahre herausgefordert hatte, diesen nationalen Kultstatus erreichte, ist nicht nur Hinweis auf die Integrationskraft der amerikanischen Gesellschaft. Daß er als Schriftsteller in dieser Reihe steht, ist auch Indiz seiner Karriere als ikonographische Figur. Schon die Beatles hatten ihm die Ehre gegeben, auf der Fotogalerie des Sergeant-Pepper-Covers vertreten zu sein.

Burroughs galt als der „Vater der Beat generation“, jener Generation, für die doch die Rebellion gegen die Väter zum Lebensentwurf gehörte. Er war drogensüchtig, wurde 1947 wegen des Besitzes von Marihuana angeklagt und setzte sich nach Mexiko ab. Er erschoß bei einer Party 1951 in einem bizarren Wilhelm- Tell-Spiel „aus Versehen“ seine Frau – und wurde freigesprochen. Er betätigte sich als Pusher und als Fledderer, der Betrunkene ausraubte. Er arbeitete als Barmixer, Insektenvernichter und Privatdetektiv: „Schriftsteller müssen in vieler Hinsicht sein wie Geheimagenten“, sagte Burroughs.

Jack Kerouac und Allen Ginsberg betrachteten den 1914 geborenen als ihren Lehrer. Er hatte den Ruf eines rauschhaften Lüstlings und homosexuellen Exzentrikers, aber zugleich inszenierte er sich als unscheinbaren Herrn mit grauem Anzug und Krawatte, ernst und korrekt – und es war wohl diese Spannung zwischen Erscheinungsbild und Image, die seine Faszination ausmachte.

In den USA kannte jedes Kind seinen Namen: Sein Großvater hatte eine Rechenmaschine erfunden, die „Burroughs“ war in jeder Schule im Einsatz. William hatte deshalb Geld genug, um ohne Existenzsorgen leben zu können. Und als das Erbe verjubelt war, hatte er bereits seinen Erstlingsroman „Junkie“ geschrieben und mit „Naked Lunch“ internationalen Erfolg. Der Roman erschien so skandalös, daß die erste deutsche Ausgabe (1962) die anstößigen Stellen sicherheitshalber auf englisch stehenließ.

Burroughs hatte viele Fans, aber nur wenige setzten sich ernsthaft mit seinem Werk, einer ins Groteske gesteigerten Satire auf die amerikanische Gesellschaft, auseinander. Im literarischen Kollegenkreis gingen die Einschätzungen weit auseinander. George Eliot entdeckte in seinen Schriften die „reine Zerstörungswut“ und „totalen Nihilismus“. Für Saul Bellow waren sie eine „einzige Ungeheuerlichkeit“, für John Updike „mörderischer Mumpitz“. Jack Kerouac dagegen hielt Burroughs für den „größten Satiriker seit Swift“, und für Anthony Burgess war er der „originellste Schriftsteller seit Joyce“.

Stärker als sein Einfluß auf die Literatur war in jedem Fall der auf die Popkultur – obwohl er selbst nicht viel von Rockmusik wußte und sie niemals zum eigenen Vergnügen gehört hätte. Für Patti Smith saß er „gleich neben dem Papst“, und Frank Zappa las Passagen aus seinem Werk auf der Bühne. Die Technik des „Cut-up“, die Burroughs als zentrales Gestaltungsprinzip vom Film übernahm, machte ihn schließlich auch in der HipHop- und Techno-Szene zu einem Kultautor.

Seine letzten Lebensjahre verbrachte Burroughs in der Kleinstadt Lawrence im Bundesstaat Kansas. Er hatte genug von Skandalen und, nach eigenem Bekunden, auch das Interesse an Sex verloren. Den adretten Anzug hatte er nun mit kariertem Arbeitshemd, Jeans und Schirmmütze vertauscht. Er lebte, seit zehn Jahren ohne festen Boyfriend, in einem kleinen Holzhaus, zusammen mit sechs Katzen, und manchmal fuhr er hinaus aufs Land zum Zielscheibenschießen. Im Krankenhaus von Lawrence ist William S. Burroughs in der Nacht zu Sonntag im Alter von 83 Jahren an Herzversagen gestorben. Jörg Magenau