Mäuse im Boxring

Hinter jeder dunklen Ecke lauern Monster: Ein Besuch bei der Berliner Künstlergruppe Dead Chickens und deren mutantenreicher Familie in ihrem idyllischen italienischen Feriendomizil  ■ Von Jenni Zylka

Ein ungewohnt lautes Scheppern ist zu hören im italienischen Dorf Bomarzo am nördlichen Ausläufer des Cimino-Gebirges. Es kommt von der Burg des Fürsten Orsini, die seit 500 Jahren vom Berghang aus über das malerische Örtchen wacht. Hier, in dem mittelalterlich finsteren Gebäude mit seinen Sälen, Türmchen und endlosen Fluren machen die Erschaffer mechanischer Monster, die Dead Chickens aus Berlin, in diesem Sommer mit ihren Kreaturen Ferien.

Die Idee der Italienreise mit Burgbesetzung kam Monica Ercolani, einem der Mitglieder der Dead-Chickens-Homebase Haus Schwarzenberg e.V., beim Gespräch mit ihrem Vater, einem Künstler aus Bomarzo. Das kleine verschlafene Bergdorf ließ sich auf den Vorschlag ein und übergab die alte Burg für drei Wochen an die jungen Wilden aus Berlin, die immer auf der Suche nach neuen Orten und Konzepten für ihre Monstershow sind.

Seit 1986 sorgen die Geschöpfe der Dead Chickens für Aufsehen, wo immer sie installiert und zum Leben erweckt werden. Von sechs durch Punk- und Industrialmusik, Skulptur und Performance beeinflußten KünstlerInnen gegründet, basteln die Chickens seitdem kontinuierlich an ihrer eigenen Monsterwelt. Ihre agilen Ungeheuer sind aus Metall und Stoff, aus Ketten, Leder und Plastik, sie erinnern oft an unwirkliche, wundersame Tier- und Fabelwesen mit Flügeln, spitzen Zähnen oder riesengroßen Kulleraugen. Größtenteils pneumatisch, also durch Druckluftkonstruktionen bewegt, stoßen sie Geräusche aus oder lassen Dampf ab.

Während der letzten elf Jahre hat die Gruppe multimedial gearbeitet, Video- und 16-mm-Filme gedreht, begehbare Erlebnislandschaften geschaffen, Theater- und Filmkulissen konstruiert und Konzerte veranstaltet. Ihre Kreaturen bevölkern als Touristenschreck auch ein paar Berliner Nachtlokale. 1992 gründeten die Dead Chickens das „Labor für Evolutionsprognostik (LEP)“. Dieses pseudowissenschaftliche Institut gibt den Ideen der „mad scientists“ ein Forum. In LEP-Schriften wird von merkwürdigen Versuchen an Mensch und Tier berichtet, von Mutationen, genmanipulierten, überdimensionalen Mäusen und Rebirthing-Shows. Bei der Veranstaltung „Tagediebetage“ im Mai 1994 ließen die Chickens eine riesige Kampfmaus aus dem „Labor“ ausbrechen und in einem Boxring gegen einen bösen Wissenschaftler antreten: eine schwarze Science- fiction-Parodie, ein Kampf der Mutanten.

Das Mäuseboxen-Konzept wurde von Hannes Heiner entwickelt, zusammen mit Gründungsmitglied KAI „Erfinder und Gestalter“ der Monstermaschinen. Weiterhin gehören Breeda C.C., Nils Peters und Werner Trunk zum Team. „Man muß sich das so vorstellen, daß immer jeder für fast alles verantwortlich ist“, erklärt Henryk Weiffenbach, der Fotograf und Organisator der Chickens, den demokratischen Ansatz der Gruppe. Henryk, dessen ruhiges Organisationstalent außer den Chickens-Veranstaltungen auch noch den eingetragenen Verein „Haus Schwarzenberg“ zuwege brachte, einen Häuserkomplex in Berlin-Mitte mit Galerien und Ateliers, Clubs, der „museumsakademie“ und einem Kino, sträubt sich, die Inhalte der Gruppe zu erklären. „Eigentlich sprechen die Monster für sich selbst.“ Und zwar lautstark.

Natürlich lassen sich Bezüge zu anderen Gruppen herstellen: etwa zu der englischen „Mutoid Waste Company“, die aus Schrott Skulpturen bastelt, oder zu „La Fura dels Baus“. Doch während die spanischen Endzeit- Künstler mit ihren ohren- und sinnesbetäubenden Spektakeln stets mit der Angst der Zuschauer spielen, amüsieren die Dead Chickens eher. Ihre Kreaturen haben Witz; die Figur „Mutti“ ist die weise, alte Dame der Monsterfamilie, „Püppi“, die man in den Sälen der Burg von Bomarzo tanzen sehen kann, die pubertäre Göre. Für Italien haben die Dead Chickens den vier Meter hohen „dicken Bloch“ geschaffen, der auf dem Kirchplatz bis ins Tal vernehmlich trötet, das „Schnabelscherenmonster“ klappert vom Turm den Takt dazu.

Und während hinter jeder Ecke ein Mitglied der Monsterfamilie lauern kann, um mutige Besucher, Touristen und die verwunderten Bewohner des Dorfes zu schocken, sind die steinernen Monster im sogenannten Monsterpark, einem Skulpturengarten, den der Fürst und Künstler Vicino Orsini im 16. Jahrhundert unmittelbar unterhalb der Burg anlegt hatte, schon lange verstummt. Das Labyrinth, dessen Wege von Drachenköpfen und moosbewachsenen Fabelwesen gesäumt werden, steht in wunderschönem Kontrast zu den Dead-Chickens-Geschöpfen. „Die Monster suchen ihren Ursprung“, heißt es im Pressetext.

Leider sind die spektakulären Geschöpfe möglichen Mäzenen nicht „Techno-“ und damit massenkompatibel genug: Sämtliche Sponsoren sprangen ab oder gar nicht erst auf. Einer großen Zigarettenfirma war die Aktion dann doch „zu undergroundig“ (Monica Ercolani), und freundliche Bettelbriefe an reiche Kunstsammler stießen auf freundliche Absagen. Selbstverständlich sind trotzdem alle Monsterfans und Rotweingourmets herzlich einladen, die Dead Chickens auf ihrer Burg zu besuchen und den Sommer in Italien zu genießen.

Dead Chickens: „Monsterbegegnung“ auf der Burg von Bomarzo, bis 16. August. Infos: Schwarzenberg e.V., Tel. (030) 30872539; Fax (030) 2829033. Ein Busunternehmen bietet Fahrten inklusive Unterkunft an.