: Wie hätte Frau Brontä entschieden?
Kleine Tour de Force durch mehrere ungepflegte Wohnhöhlen und Akne-Exzesse: In „Career Girls“, Mike Leighs neuem Film, sind allerhand kathartisches Gerangel und jede Menge weibliche Sozialisationsschäden zu durchqueren ■ Von Gudrun Holz
Es ist kühl in Mike Leighs neuem Film. Eine Frauenfreundschaft als Horrortrip. Die achtziger Jahre als Kinderstube der Neurosen. Was für ein düsteres Jahrzehnt das – da lernt man fürs Leben und härtet sich ab für die schöne Zeit des Erwachsenseins, die irgendwann alles Leid der Jugend heilen soll.
Arme Würstchen oder geläuterte Individuen
Darauf hoffen auch die Freundinnen Hannah (Katrin Cartlidge) und Annie (Lynda Steadman) – noch allerdings, ohne es zu wissen. Viel zu sehr sind beide verstrickt in die eigenen Probleme und Nöte.
In Rückblendenmanier kommt der ganze Wust beim Treffen nach fast einem Jahrzehnt wieder hoch und schickt uns auf eine psychologische Besichtigungstour. Dabei hat man immer auch die Frage im Kopf, ob die Bissigkeit des Titels aus den beiden Frauen nun arme Würstchen oder geläuterte Individuen des Post-Thatcher-Englands machen wird.
Die gemeinsame Vergangenheit der studentischen „Heldinnen“ (doch, das sind sie), genannt Jugend, spielt in London. Ein leicht verlaust wirkendes Apartment ist der Hauptschauplatz der erwähnten inneren Kämpfe. Mehrere ungepflegte Wohnhöhlen und eine dritte WG-Genossin, die eher als Prellbock dient. Annie ist ein schüchternes Geschöpf ohne Intimleben, die ihr von Hautirritationen geplagtes Gesicht hinter einem Vorhang aus filzigem Hennahaar versteckt.
Weil Annie mit The Cure aufsteht und zu Bett geht, bilden die auch den höchst authentischen Soundtrack.
Counterpart Hannah liefert dank der Darstellung von Katrin Cartlidge überzeugend den Charakter der jugendlichen Stadtneurotikerin. Hyperagil und daher fast durchweg völlig von der Rolle, spricht sie ihre textreichen Passagen wie eine manische Rapperin, stockend und zappelnd. Das wird mit soviel brutaler Hartnäckigkeit geschildert, als wolle Leigh ein für allemal den Ungeist weiblicher Sozialisationsschäden austreiben.
Apropos, als gute Engländerinnen kennen die Freundinnen natürlich auch ihre einschlägige Frauenliteratur. So wird in Gewissensfragen nach Mädchenart stets der Geist von Emily Brontä angerufen und dann im Roman nachgeschlagen, was der Zufall wohl raten mag.
Dringend notwendige Einfälle
Diese Einfälle sind witzig und auch dringend notwendig bei all dem kathartischen Gerangel, das zu durchqueren ist. Die Spuren der früheren Aufsässigkeit hat man mit dreißig abgestreift. Man ist gereift und beherrscht die Ausdrucksform unkonventionell-stilvoller Inneneinrichtung. Vergessen sind Hannahs Rüpeleien und giftspritzenden Gemeinheiten. Hoffnung ist inzwischen kein Fremdwort mehr und bildet das Schlußmotiv der Story.
Wenn man „Career Girl“ etwas vorwerfen könnte, dann vielleicht, daß er seine Figuren nach getaner Tour de Force etwas lau absaufen läßt, plötzlich besinnlich geworden, nurmehr nostalgisch.
„Career Girls“. Buch und Regie: Mike Leigh. Kamera: Dick Pope. Mit Katrin Cartlidge, Lynda Steadman, Kate Byers, Mark Benton, Joe Tucker, Andy Serkins u.a. Großbritannien 1997, 90 Minuten
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