Die Therapie der Therapie

Die rebellischen Töchter von Sigmund Freud feiern Geburtstag: Die feministische Beratung, Therapie und Supervision wird zwanzig Jahre alt  ■ Von Eva Grundl

Sie arbeiten daran, Frauenseelen zu stärken und gleichzeitig das Patriarchat zu schwächen: Die „feministischen Therapeutinnen“. In diesem Sommer können sie den zwanzigsten Geburtstag ihrer Bewegung feiern. Und immerhin: In ihrer langjährigen Wühlarbeit haben es diese Kunsttherapeutinnen und Psychodramatikerinnen, Lehranalytikerinnen und Familientherapeutinnen geschafft, die verschiedensten Zweige der Psychotherapie und Psychoanalyse mit ihrem Gedankengut zu infiltrieren. Die Therapie selbst ist therapiert und ein Stück weit von patriarchalem Gedankengut entrümpelt worden.

Bilanz und Ausblick nach zwanzigjähriger Arbeit – das war auch das Thema eines Kongresses der feministischen Therapeutinnen. Zuvor hatten sich die bundesweit arbeitenden Therapeutinnen und Beraterinnen alljährlich im eher exklusiven Zirkel getroffen, diesmal, beim 20. Kongreß, wurde der Kreis zum ersten Mal erweitert und auch die Presse ins idyllische Kloster Seeon am Chiemsee geladen.

Die Schweizer Professorin Verena Kast, hochrangige Vertreterin der Lehre des Freud-Zeitgenossen C.G. Jung und erste Vorsitzende der Internationalen Gesellschaft für Analytische Psychologie, illustrierte mit ihrem Vortrag die Schwierigkeiten für Jungianerinnen, die zu werden, die sie sind. Die Tatsache, daß Jung als großer Meister himself die kompetente Mitarbeit seiner Ehefrau Emma Rauschenbach zeitlebens nicht adäquat würdigte, könnte zwar mit einer Gigaportion guten Willens mit dem frauenfeindlichen Zeitgeist der Jahrhundertwende erklärt werden. Doch heiße es unter eingefleischten Jungianern heute immer noch: Wenn eine Frau ihre Meinung sehr klar und direkt vertrete, dann habe sie einen zu starken Animus. Sie müsse zur Auseinandersetzung mit ihrem schrecklichen Animus aufgefordert werden. Für die renommierte Autorin Verena Kast steht dennoch oder vielmehr gerade deswegen fest, daß der Feminismus das traditionelle Therapieverständnis geradezu verstört hat.

Gehören Selbstreflexionen ohnehin zu Veranstaltungen dieser Art, so gilt dies um so mehr für die Berufsspezies der Therapeutinnen. Genau betrachtet tut sich da gar ein echtes Generationsproblem auf: Das Verhalten der „Gründerinnen-Generation“ gibt jüngeren Frauen offenbar Anlaß zu Klagen. „Die dienstjungen Frauen fordern in den mittlerweile professionalisierten Arbeitsstrukturen verstärkt die Realisierung der klassischen Postulate der Frauenbewegung ein: Basisdemokratie, Nähe zur Klientel und Gleichheit“, berichteten die Psychologin Polina Hülsenbeck und die Supervisorin Waltraud Dürmeier.

Aber nicht nur die Befindlichkeiten, sondern vor allem die Arbeitsinhalte und theoretischen Blickwinkel haben sich im Laufe der Jahre verändert. Beispiel: die weibliche Pubertät. In den Anfängen der Frauenbewegung und -forschung wurde diese Phase primär im Hinblick auf die massiven körperlichen und psychischen Veränderungen betrachtet. Wenngleich auf sehr subtile Art, war die Auseinandersetzung mit diesem Thema von einer Haltung unterlegt, die in den Mädchen vor allem die Opfer dieser rasanten Vorgänge sah. Dieser Opferstatus wurde allmählich von der Einsicht abgelöst, daß Mädchen und Frauen ihre Lebensverhältnisse durchaus eigenständig gestalten können. Psychologinnen wie Maria Theresia Jung aus Konstanz fiel auf, daß Mädchen gerade in der Vorpubertät „sehr stark sie selbst“ sind. Daraus ergibt sich die große Chance, jene Zeit zwischen ungefähr neun und elf Jahren als „Energiequelle“ zu nutzen: „Wegen des früh einsetzenden massiven Drucks zur Weiblichkeit kann das wilde kleine Mädchen gut als Potential für die Rückkehr bei Krisen fungieren.“

Die Abkehr von der Auffassung, Frauen seien bedauernswerte Geschöpfe und passive Opfer patriarchaler Verhältnisse, findet in feministischen Kreisen inzwischen weitestgehend Konsens. Die in solchen Diskussionen zäh errungene Perspektive, Frauen auch als Täterinnen oder zumindest Mittäterinnen zu sehen, kann jedoch zum Bumerang werden. Deutlich wird das in Studien über sogenannte häusliche Gewalt. Früher wurde einzig und allein der Mann als Täter betrachtet, heute wird auch das Verhalten der Frau beleuchtet. Konkret zeigt sich hier für die Berliner Psychologieprofessorin Christine Holzkamp, daß die Partnerinnen in der Regel ein unterwürfiges Verhalten zur Vermeidung von Eskalationen an den Tag legen. Vom Standpunkt der Konfliktlösung her gedacht, eine durchaus logische Strategie. Um so überraschender hingegen die Folgen: Gerade durch die Unterwürfigkeit fühlen sich die Männer offenbar zur Gewalttätigkeit ermuntert und angeregt. Die Frauen werden durch ihr Verhalten zu Mittäterinnen bei der Reproduktion und Stabilisierung der bestehenden (Ohn)Machtverhältnisse.

Neben dem Brückenschlag zwischen Theorie und gesellschaftlicher Realität hält die Zukunft für die feministische Therapie auch noch weitere Herausforderungen parat. Für Agnes Büchele vom Zentrum für Angewandte Psychologie und Frauenforschung in Köln gehört hierzu das Erschließen neuer Arbeitsbereiche: „Der Trend der starken Berufsorientierung von Frauen wird mit Sicherheit anhalten.“ Somit stellt für die Anbieterinnen feministischer Erwachsenenbildung der Komplex des beruflichen Wiedereinstiegs von Frauen nach der Kinderpause eines von zahlreichen möglichen Betätigungfeldern dar. Darunter fällt für Agnes Büchele übrigens auch das sogenannte Gender-Training. Damit sollen Führungspersonen in Betrieben für die Problematik der nur vordergründig geschlechtsneutralen Arbeitsstrukturen sensibilisiert werden: In den USA sei das Gender-Training sehr erfolgreich, sagt Büchele. Frauen und Männer seien in der Folge zufriedener in ihrem Job, die Kündigungen seien zurückgegangen.

Untrennbar verbunden mit der Entwicklung neuer Tätigkeitsperspektiven ist übrigens auch die Bewältigung eines alten neuen Anachronismus: die finanzielle Unterversorgung von frauenspezifischer Therapie, Supervision und Projektarbeit. Aber das ist wieder ein anderes Thema.