Wenn der Postmann nicht mehr klingelt

185.000 UPS-Fahrer streiken in den USA für gerechten Lohn und sicherere Jobs. Millionen von Paketen bleiben liegen – die US-Gewerkschaften gewinnen wieder an Einfluß  ■ Aus Washington Peter Tautfest

Wer im August den Geburtstag eines lieben Menschen und sein Geschenkpäckchen vergessen hat, hat eine gute Ausrede, den Streik bei UPS. Zwar ist UPS nicht der einzige Paketdienst, aber die anderen Firmen wie Federal Express und die amerikanische Post sind durch den plötzlichen Ansturm völlig überlastet. UPS ist längst zum größten Paketdienst Amerikas geworden, bei dem vier von fünf Paketen aufgegeben werden und auf den sich Versand- und Warenhäuser ebenso verlassen wie Krankenhäuser und Lebensmittelhändler. Der Streik der 185.000 Fahrer bei UPS legt zwar noch nicht Amerikas Wirtschaft lahm, doch UPS schätzt, daß die 12 Millionen Päckchen täglich, die das Unternehmen ausliefert, verantwortlich sind für fünf Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes. Trotzdem lehnte Bill Clinton bisher die Forderung der UPS-Manager ab, den Streik auszusetzen. Das kann der US-Präsident anordnen, wenn ein Streik eine Branche oder die nationale Sicherheit gefährdet.

In Boston und Chicago wurden bereits zehn Streikende festgenommen, die UPS-Fahrzeuge an der Abfahrt hindern wollten. Denn 50.000 nichtorganisierte Büroangestellte versuchen, wenigstens einen Teil der UPS-Aufträge auszuliefern. Doch sie bewältigen bloß ein Zehntel der Paketberge. Dagegen unterstützt die Unabhängige Piloten Organisation den Streik – auch ihre 2.000 Piloten für UPS lassen die Arbeit ruhen.

In dem ersten landesweiten Ausstand in der 90jährigen UPS- Geschichte geht es um den Zuschnitt der modernen Arbeitswelt. „UPS ist ein Betrieb nach dem Lehrbuch der neuen Wirtschaft“, zitiert die New York Times John T. Schmitt, Wirtschaftswissenschaftler am Economic Policy Institute. „Ein durchcomputerisierter Dienstleistungsbetrieb, dessen Funktionieren auf der intelligenten Organisation von Information beruht, ein Modellbetrieb der Zukunft also, und der kann, um profitabel zu sein, seinen Arbeitern und Angestellten keine Mittelklasse- Löhne bezahlen.“ Bei UPS sind von den seit 1993 geschaffenen 46.000 Stellen bloß 8.000 Vollzeitarbeitsplätze. Während Teilzeitarbeiter im Durchschnitt 11 Dollar die Stunde verdienen, bringen es Festangestellte auf 20 Dollar die Stunde. Das ist denn auch eine der beiden Forderungen der Gewerkschaft: die Erhöhung der Zahl der Festangestellten. Die andere Forderung bezieht sich auf die Organisierung der Pensionskassen. Der Streit ist klassisch für moderne Arbeitskämpfe um Outsourcing oder Teilzeitbeschäftigung. Es geht um Erhaltung eines Minimums an sozialer Sicherheit, um Kranken- und Sozialversicherung nämlich, die die Arbeitgeber am liebsten einsparen möchten. Und natürlich geht es um Arbeitsplatzsicherheit. Während die Gewerkschaft UPS vorwirft, Wegwerfarbeitsplätze zu schaffen, entgegnet UPS, daß die gegenwärtige Anstellungspraxis im nationalen Trend liege; heute sind 18 Prozent (nach anderen Berechnungen 20 Prozent) der Beschäftigten Amerikas Teilzeitbeschäftigte. Das komme nicht nur den Erfordernissen eines Versanddienstes wie UPS entgegen, dessen Arbeit unregelmäßig und zu ungewöhnlichen Zeiten anfällt, sondern auch den Wünschen der Jobsuchenden selbst, die mehr freie und flexiblere Arbeitszeit wünschen. Für die Gewerkschaft geht es in diesem ersten landesweiten Streik der 90er Jahre um die Frage, ob sich mit dem Ende des Industriezeitalters auch sichere Beschäftigungsverhältnisse verabschieden. Werden in der heraufdämmernden Dienstleistungswirtschaft künftig Familien gleich mehrere Jobs à la McDonalds und UPS in unsicheren Positionen als Subunternehmer jonglieren müssen, um das Haushaltsgeld zusammenzubringen?

Bei der amerikanischen Transportarbeitergewerkschaft Teamster's Union handelt es sich um jene Organisation, die mit dem Namen des berühmt-berüchtigten Jimmy Hoffa verbunden ist und in den 50er und 60er Jahren im Verdacht stand, mit dem organisierten Verbrechen verbandelt zu sein. Das Wiedererstarken dieser Gewerkschaft halten viele für ein Zeichen, daß die totgesagte Gewerkschaftsbewegung an Einfluß gewinnt.