„Ein rebellischer Marxist, der Mut gemacht hat“

■ Lothar Bisky, Bundesvorsitzender der PDS, über die Bedeutung Kuczynskis für die Erneuerung seiner Partei: „Er hat die Widersprüche des Jahrhunderts in sich getragen“

taz: Herr Bisky, Jürgen Kuczynski schrieb einst Reden für Erich Honecker. Hat er auch für Sie noch Reden geschrieben?

Lothar Bisky: Nein. Für mich hat er aber eine große Rolle gespielt, denn er ist ein rebellischer Marxist gewesen, der mir viel Mut gemacht hat.

Kannten Sie ihn persönlich?

Ja. Er war Mitglied des Rates der Alten der PDS, und er war auch fast immer bei den Sitzungen da. Ich hatte immer großen Respekt vor ihm. Vor der Vielfalt seines wissenschaftlichen Werkes, das mich wie viele andere geprägt hat. Vor seinem Kunstsinn und seinen enormen Literaturkenntnissen. Und vor seinem unkomplizierten Denken. Er war für mich einer von den Menschen, die auch in schwierigen Situationen den Kopf und ihre Überzeugungen behalten.

Welche Rolle hat er bei der Erneuerung der Partei gespielt? Er galt ja vielen auch als Stalinist.

Er hat eine große Rolle gespielt, weil er die Widersprüche des Jahrhunderts in sich getragen hat. Natürlich gab es Perioden, wo viele international bekannte Künstler, Wissenschaftler, Politiker mit dem Stalinismus in Verbindung standen. Aber er hat sich dann sehr konsequent getrennt. Natürlich hat er Reden für Honecker geschrieben. Aber er hat auch für Widerspruch gesorgt und für originelle theoretische Lösungen. Kuczynski war immer nur Kuczynski. Wir verlieren mit ihm eine der ganz großen Persönlichkeiten der marxistischen Arbeiterbewegung.

Haben Sie in der letzter Zeit noch in seinen Werken gelesen?

Ja. Nicht nur den „Dialog mit meinem Urenkel“, auch in der „Geschichte des Alltags des deutschen Volkes“. Aber es war auch wichtig, ihn zu wirtschaftlichen Vorgängen zu befragen. Er hat ja, solange er nur konnte, jeden Tag gearbeitet, gelesen und geschrieben. Als ich einmal sehr verzweifelt war, sagte er: „Ich freue mich schon auf die nächste Wende.“ Das sagte er in großer Fröhlichkeit. Und auch als einer, der zu seinen Irrtümern steht. Interview: Jörg Magenau