Faustrecht der Freiheit

Im Arsenal wird heute Samantha Maria Schmidts zweistündige Videokompilation über die Darstellung von Homosexualität im Film uraufgeführt  ■ Von Axel Schock

Ob „Liebe! Stärke! Mitgefühl!“ oder „The Birdcage“ – der Schwule schafft es heute auf der Leinwand bis zum Hollywood- Mainstream. Die Geschichte des Schwulen im Film ist jedoch über weite Strecken eine Geschichte der versteckten Andeutungen oder aber der Denunziation und der Klischees. Vito Russos Studie „The Celluloid Closet“ über die Darstellung von Lesben und Schwulen in Hollywood ist immer noch wegweisend in seiner unterhaltsamen wie kritischen Analyse dieses Phänomens. 1995 haben Rob Epstein und Jeffrey Friedman die Recherchen von Russo zu einer mehrfach ausgezeichneten Filmdokumentation verarbeitet, die vor allem auf genial zusammengestelltem Szenenmaterial aus Spielfilmen basiert.

Auch die Berlinerin Samantha Maria Schmidt hat einige hundert Stunden Spielfilm durchforstet, um „Schwules quer durch die Filmgeschichte“ zu sammeln, zu sichten und in der Gegenüberstellung Zusammenhänge darzustellen. Ausschnitte aus 68 Spielfilmen, von Richard Oswalds „Anders als die Anderen“ (1919), dem ersten expliziten Film zum Thema Homosexualität, bis „Hustler White“ von 1995, von Klassikern der Filmkunst wie Viscontis „Tod in Venedig“ und „Ludwig II.“ bis zu der dämlichen Krimiklamotte „Zwei irre Typen auf heißer Spur“ – 120 Minuten männerliebende Männer auf der Leinwand. All diese Filme, so Schmidt in ihrem einleitenden Kommentar, haben das Bild des Homosexuellen in der Öffentlichkeit durch Kino oder TV-Ausstrahlung maßgeblich beeinflußt.

Gegliedert hat sie ihre Fundstücke in frei assoziierte Kapitel wie „Schwulsein als exhibitionistische Show“, „Schwulsein als Sexbesessenheit und käufliche Liebe“, „Schwulsein als künstlerischer Antrieb und Vervollkommnung für den Künstler“. Unterhaltsam und neckisch ist die Aneinanderreihung von „Bettszenen“ aus dem Alltag schwuler Paare beim Zubettgehen und Aufstehen; überraschend die deutlichen und eher versteckten Hinweise auf eine immer wieder beschworene Tradition der „griechischen Kultur“ als Rechtfertigungsstrategie der Homosexualität: Natürlich hat man in James Ivorys „Maurice“ auch Platons „Symposium“ gelesen, und in Bertrand Bliers Komödie „Abendanzug“ (mit Gérard Depardieu) müssen billige Gipskopien griechischer Statuen für den gleichen Effekt herhalten.

Bei der Darstellung Schwuler im Film wurde immer schon mehr männliche Nacktheit gezeigt, als ansonsten üblich war. In schwulen Filmen wurde und wird nicht nur über Schwänze geredet, es werden auch gern welche gezeigt. Schwule im Film heißt „Phallus über alles“, und wenn nicht in natura, dann im Symbol; da hält Rainer Werner Fassbinder in „Faustrecht der Freiheit“ (1974) sein bestes Stück ungeniert in die Kamera, und Pédro Almódovar rückt in „Gesetz der Begierde“ (1986) einen Leuchtturm als Sinnbild männlicher Potenz aufdringlich in die Szene. Auch Frauenverachtung und Männlichkeitskult sieht Samantha Maria Schmidt als festen Topos im schwulen Film. Ob bei Lothar Lambert oder Rosa von Praunheim – das Spießbürgerliche, das Schwulenfeindliche wie Skandalpresse oder Psychiatrie, ist stets weiblichen Charakteren zugeordnet. Nicht immer birgt der Zusammenschnitt derart konkrete Erkenntnisse, bisweilen vermißt man die Struktur und merkt, wie sich die Autorin am Schneidetisch angesichts der Materialflut nicht so recht zur Trennung entscheiden wollte. Gleichwohl bietet „Es waren vielmehr die Schönsten, die ich besaß“ (übrigens ein Zitat aus Uli Lommels Spielfilm über den Massenmörder Fritz Haarmann mit Kurt Raab) Einsichten und Beobachtungen, die über „The Celluloid Closet“ hinausreichen. Ein Vergleich zu diesem Film ist im Rahmen der bis 30.8. dauernden Arsenal-Filmreihe zur Ausstellung „Goodbye Berlin?“ möglich. Am 29.8. wird er gezeigt.

Uraufführung in Großprojektion heute, 18.30 Uhr, im Arsenal, Welserstr. 25 (Autorin ist anwesend)