■ Die Linke und Europa (4): Den deutschen Nationalstaat vor der europäischen Integration zu schützen ist töricht
: Jenseits des Nationalen

Europa verführt zu den eigentümlichsten Koalitionen. Gregor Gysi und Peter Gauweiler wollen per Volksabstimmung die D-Mark vor ihrer Abschaffung retten. Linke Antinationalisten streiten mit den Großbanken für die pünktliche Einführung des Euro. Das ist kein deutsches Phänomen. Gegen Maastricht mobilisierten schon 1993 flämische Rechtsradikale wie dänische Linkssozialisten.

Manchmal findet sich eine solche widersprüchliche Konstellation in einer Person vereint. Micha Brumlik, der vor einem Jahr für den Kommunismus (wenn auch in einer eher katholischen Variante) plädierte, will heute einen neuen oder liberalen Nationalismus. Doch sein idealisierter Nationalstaat als einzige Rechtsquelle jenseits der Gesetze der Natur wie der Gebote Gottes hat leider mit den real existierenden Nationalstaaten nur wenig gemein.

Blicken wir zurück: Die Geschichte der Nationalstaaten ist eine Geschichte von Kriegen. Die Kriege der Staaten Europas gipfelten im Vernichtungskrieg des deutschen Faschismus. Wer heute populistisch gegen eine bürokratische oder neoliberale EU polemisiert, vergißt: Die EWG war die europäische Antwort auf den Holocaust. Der Grundgedanke war schlicht: Durch die enge, unlösbare Verknüpfung der Volkswirtschaften der beteiligten Nationalstaaten sollte ökonomischen Interessen der Boden entzogen werden, die Europa in diesem Jahrhundert in zwei Weltkriege gestürzt hatten. Diese Kriegsverhinderung durch wirtschaftliche Einbindung hat funktioniert. Gerade dieser Zusammenhang sollte es Linken erleichtern, zu erkennen, daß die Zukunft Europas jenseits des Nationalstaats liegt.

Ob die Abwesenheit von Krieg in Westeuropa über gut 50 Jahre mehr auf die friedenstiftende Wirkung der Wirtschaftsgemeinschaft zurückzuführen ist oder auf die Abschreckung der Blockkonfrontation, ist heute eine akademische Frage. Mit dem Zusammenbruch des östlichen Blocks wurde das Konzept der Europäischen Gemeinschaft zum Modell für eine friedliche Zukunft Europas. Es geht darum, die Nationalstaaten in eine ökonomisch fundierte, politisch gestaltete Gemeinschaft unlösbar einzubinden und (ein Stück) zu überwinden. Die Erweiterung und Vertiefung eines gemeinsamen Europa ist eine Frage von Krieg und Frieden.

Wohin der Weg des Rückzuges auf den Nationalstaat führt, läßt sich auf das grausamste bei der Renationalisierung des ehemaligen Bundesstaates Jugoslawien beobachten. Es hat unter den dort Beteiligten manche gegeben, die für ein demokratisches Serbien oder Kroatien stritten. Die realen Interessen der neuen Nationalstaaten haben diese frommen Wünsche demokratischer Minderheiten blutig hinweggefegt. Es würde Micha Brumliks neuem Nationalismus nicht anders ergehen. Gegen seinen politischen Idealismus erscheint Kohls Beharren auf einem gemeinsamen Europa als materiell fundierte Friedenspolitik.

Nun zielt die EU nicht auf einen neuen Bundesstaat Europa. Ihn wird es, ihn soll es nicht geben. Eine sich erweiternde und vertiefende EU läuft auf eine neue transnationale Ebene hinaus, die mehr ist als ein bloßer Binnenmarkt, mehr als eine Staatengemeinschaft, aber weniger als ein Bundesstaat. Vor allem muß dieses gemeinsame Europa ein offener Prozeß sein. In diesem Europa gibt es nicht nur einen Souverän. Dies ist die Grenze der Demokratisierung wie für die Übertragung von Hoheitsrechten. An diesem Anspruch gemessen, ist die Amsterdamer Konferenz gescheitert – vor allem an der Bremserrolle Deutschlands. Zwar gibt es nun Verhandlungen mit Beitrittskandidaten, doch die für eine Erweiterung nötigen institutionellen Reformen wurden versäumt. Die Hürde wurde durch das Junktim zwischen der Verkleinerung der Kommission und den Mehrheitsverhältnissen im Rat eher höhergelegt. Die Hoheitsrechte für Europol wurden ohne demokratische Kontrolle übertragen. Selbst die Übertragung von Zuständigkeiten, etwa in der Visumspolitik, in den EG-Vertrag und damit in die Reichweite des Parlaments stellt vorerst eine unechte Vergemeinschaftung dar. In der Flüchtlingspolitik haben die deutschen Bundesländer Fortschritte verhindert. Beck und Beckstein zwangen Europa ihre Ausländer-raus-Politik auf.

Nicht nur hier zeigte sich die gewandelte Rolle der Bundesrepublik in Europa – vom Antreiber zum Bremser. Auch in der Beschäftigungspolitik verhinderte die Bundesregierung mögliche Fortschritte. Der Beschäftigungsgipfel im Herbst wird zeigen, ob diese Blockade überwindbar ist oder ob hierfür ein Regierungswechsel die Voraussetzung ist.

Seit den Wahlen in Frankreich und Großbritannien ist klar, daß es in Europa eine Weiterentwicklung geben kann – allerdings wird dieses Europa eher etatistisch als neoliberal (das sind keine Synonyme für links und rechts) sein. Eins aber wird es nicht sein: deutsch. Das ist der Grund, warum die deutsche Rechte versucht, über eine sogenannte Verschiebung die Währungsunion zu Fall zu bringen. Nachdem die Instrumentalisierung der Währungsunion für ein deutsch dominiertes Europa an der eigenen Verschuldungspolitik für die deutsche Einheit gescheitert ist, nachdem klar ist, daß es deshalb den Euro nur mit dem Süden der EU geben wird, möchten Teile der CDU die Währungsunion am liebsten ganz zu Fall bringen, um die D-Mark zur Leitwährung in Europa und die Bundesbank zur Zentralbank zu machen. Damit würde die Axt an die Wurzel eines gemeinsamen Europa gelegt. Ein D-Mark-dominiertes Europa würde von Italien bis Frankreich eine Renationalisierung in bisher nicht bekannter Weise zur Folge haben – mit allen Gefahren.

Es ist politisch abenteuerlich, wenn sich in dieser Situation die deutsche Linke positiv auf einen neuen Nationalismus beziehen soll, statt den real existierenden deutschen Nationalismus zu bekämpfen. Dafür gäbe es zu Recht Lob von der falschen Seite: Am Euro entzündet sich auch die Frage nach der Haltung der Nation. Die Stimmen werden immer lauter, die der Gleichung links gleich antinational widersprechen. Allmählich kommt es auch in Deutschland quer zu allen Lagern in Mode, nationale Interessen selbstbewußter zu formulieren – schrieb die Junge Freiheit. So gesehen wäre Brumlik ein ganz Moderner. Ich bin für ein europäisches Deutschland. Ein deutsches Europa aber muß verhindert werden – auch wenn das als altmodisch, links und internationalistisch gilt. Jürgen Trittin