Rückschlag im Kampf gegen die Mafia

Italiens oberster Anti-Mafia-Ermittler tritt wegen massiven Korruptionsvorwürfen zurück. Die einsitzenden Bosse, erzählen die Wärter, feiern in den Knästen mit Champagner  ■ Aus Rom Werner Raith

Noch Anfang der Woche war sich Pino Arlacchi, neuernannter Chef der UNO-Anti-Drogen-Behörde, ganz sicher: „Die Mafia ist zwar noch nicht endgültig besiegt, aber tödlich verletzt.“

Zu danken sei dies vor allem einer just von ihm, Italiens bekanntestem und angesehenstem Mafia- Wissenschaftler, ausgedachten und durchgesetzten Ermittlereinheit nahmens DIA (Dipartimento Investigativo Antimafia): eine Art italienisches FBI, das sich aus 1.500 hochspezialisierten Mitgliedern der drei großen Polizeieinheiten Polizia di Stato, Carabinieri und Guardia di finanza zusammensetzt. „Reihenweise“ habe man Mafiabosse eingesammelt, so Arlacchi, ihre illegalen Einkünfte beschlagnahmt und vor allem „Italien gezeigt, daß man auch hierzulande unbestechliche, demokratisch handelnde und doch effiziente Schutzkörper für Gesetz und Ordnung einsetzen“ könne.

Die Beweise sprechen klar gegen den Chefermittler

Doch nun das: Ausgerechnet der oberste dieser Anti-Mafia-Kämpfer, der General der Finanzpolizei, Giovanni Verdicchio, 62, mußte an Mittwoch abend schmählich seinen Hut nehmen. Grund: Der Offizier soll nach Ansicht der Staatsanwaltschaft in mehreren Fällen Schmiergelder angenommen und danach belastende Dokumente in einem der größten Korruptionsskandale Italiens verschwinden lassen haben – der Privatisierung des staatlichen Chemiekonzerns ENI.

Verdicchio streitet alles ab, doch die Beweislage in zumindest einem Fall, in dem er umgerechnet 20.000 Mark erhalten haben soll, scheint ihm kaum ein Entrinnen zu ermöglichen. Für die DIA wäre dies, kommt es zum Prozeß, ein Desaster: Schon berichten Gefängniswärter, daß in den verschiedenen Knästen Champagnerkorken geknallt haben.

Zwar haben die einsitzenden Bosse wohl nichts mit dem Korruptionsskandal zu tun, doch die Schwächung der inzwischen von ihnen gefürchteten Ermittlungs- und Zugreiftruppe wäre für sie nach einer langen Zeit ständiger Niederlagen zweifellos ein Lichtblick.

Mit Verdicchio den Bock zum Gärtner gemacht

Die Regierung bemüht sich denn auch, den Skandal zunächst einmal möglichst niedrig zu hängen: Erstens, so ein Sprecher des Innenministers, dem die DIA untersteht, gelte „zunächst die Unschuldsvermutung bis zur rechtskräftigen Verurteilung“, zweitens „dürfe man eines faulen Eies wegen nicht den gesamten Polizeikörper verurteilen“ und drittens „werde man sich vom einmal eingeschlagenen Weg eines entschiedenen Kampfes gegen die Mafia nicht abbringen lassen“.

Das klingt den meisten Beobachtern allerdings eher wie Pfeifen im Walde: Daß man hier den Bock zum Gärtner gemacht haben könnte, scheint auch Mitgliedern der Regierungskoalition nicht ganz unwahrscheinlich. Die italienischen Grünen jedenfalls haben bereits eine parlamentarische Anfrage eingebracht: Sie wollen wissen, ob vor der Ernennung des Generals denn schon irgendwo etwas von möglichen belastenden Materialien gegen ihn bekannt gewesen sei.