Wer steuerte den Neonazi Kay Diesner?

■ Er schoß auf PDS-Buchändler und tötete Polizisten. Heute Prozeßbeginn

Berlin (taz) – Es gibt Prozesse, die werden geführt, bevor sie begonnen haben. Seit Monaten verhandelt die Öffentlichkeit, warum sich Kay Diesner am Morgen des 19. Februar maskierte und mit seiner Pump-Gun in den „Kleinen Buchladen“ in Berlin-Marzahn aufsuchte. Wortlos feuerte er zwei Schüsse auf Klaus Baltruschat (62), den Buchhändler, ab. Dem PDS-Mitglied mußte der linke Unterarm amputiert werden.

Wer steuerte Diesner? Warum floh er Richtung Norddeutschland? Suchte er in Skandinavien Unterschlupf bei Neonazis? Warum schoß er vier Tage später auf dem Rastplatz Roseburg bei Lauenburg den Polizisten Stefan Grage ohne Vorwarnung nieder? Danach versuchte er die Polizisten, die ihn verfolgten, aus dem Weg zu schießen. Ist er ein Amokläufer? Oder nicht vielmehr ein brauner Terrorist?

Für die PDS scheint klar: Kay Diesner ist kein Einzeltäter. Er handelte als Mitglied einer bewaffneten Untergrundgruppe von Neonazis. Schließlich bekenne er sich zum „Weißen Arischen Widerstand“, einer Gruppe, die dem rassistischen Ku-Klux-Klan in den USA ähnelt. Zudem sehe er sich selber als „politischer Soldat“, als „Freiheitskämpfer der weißen Rasse, der nicht nur auf einen PDS-Menschen schießen würde, sondern auf alle, die den Staat unterstützen, wozu man eine Bombe haben müsse, die man dann auf den Bundestag wirft“, sagt Ulrich Dost, der als Rechtsanwalt Klaus Baltruschat in der Nebenklage vertritt. Oberstaatsanwalt Günter Möller gibt zu bedenken, daß es schwierig sei, das braune Netz hinter Diesner zu benennen.

Das Gerichtsverfahren gegen Kay Diesner beginnt heute. Ihm wird Mord in einem Fall zur Last gelegt und Mordversuch in drei weiteren Fällen. Der 24jährige Feinmechaniker hat seine Taten gestanden. Der Prozeß wird dennoch spektakulär werden.

Hätte nach dem Attentat auf den Buchhändler nicht der Mord an dem Polizisten Stefan Grage verhindert werden können? PDS- Anwalt Dost wird dazu heute im Gerichtssaal eine Erklärung abgeben. In seinen Augen hat der Berliner Staatsschutz schwerwiegende Fehler bei den Ermittlungen nach den Schüssen auf Baltruschat gemacht. Am Wochenende vor diesem Attentat hatten sich Anhänger der rechtsextremen NPD-Jugendorganisation JN, die auf dem Weg zu einer Saalveranstaltung waren, und Autonome eine brutale Straßenschlacht geliefert. Trotz eines Aufgebots von 600 Beamten konnte die Polizei nicht verhindern, daß etwa 40 Neonazis von einer linken Übermacht gejagt wurden. Diese Niederlage, die Fotos und die Fernsehbilder der verängstigter Skins wurden in der Szene als schwere Schmach gesehen. Weil der Hellersdorfer PDS- Bürgermeister Uwe Klett im Vorfeld des Aufmarsches dazu aufgerufen hatte, „überall dahin zu gehen, wo die Neonazis sind“, geriet die PDS ins Visier der Rechten. Wenige Stunden nach dem Mordanschlag auf Buchhändler Baltruschat meldete sich ein anonymer Anrufer bei der PDS-Landeschefin Petra Pau: „Schade, daß es nicht geklappt hat.“

Ein eindeutiger Hinweis darauf, daß es sich bei dem Anschlag auf den Buchhändler um einen Racheakt handelte. Dennoch versäumte es der Berliner Staatsschutz, die Neonazi-Szene zu durchkämmen. Dost sagt: „Hätten die Beamten geschaut, welche Neonazis im Tatumfeld leben, wären sie auf drei Adressen gestoßen.“ Auch auf die von Kay Diesner. Hätte der Staatsschutz nicht schlampig ermittelt, bestünde „die Möglichkeit, daß der Polizist Stefan Grage noch leben könnte“. Annette Rogalla