: „Leere im Kopf oder Leere im Raum“
■ Von Bauhaus und Bauernstube, Jaffa-Stil und dem Rückzug ins Private: Interview mit Nils Jockel, Kulturverantwortlicher beim Hamburger stilwerk, über Dasein und Design
taz: Sie sitzen hier in einem eher kargen Büro, um Sie herum in den Läden teure Designer-Möbel. Warum leisten sich Menschen heutzutage solche Exklusivitäten?
Nils Jockel: Weil wir nicht mehr gewohnt sind zu wohnen, gleichzeitig aber heute die Freiheit zu individuellem Wohnen haben. So sind wir sehr anfällig für Trends und Moden und können nicht mehr entscheiden, was wir wirklich brauchen. Das ist ähnlich wie mit der Ehe, die früher auch reine Notwendigkeit war. Die neue Freiheit verunsichert. In unserer Gesellschaft wird die Einrichtung der eigenen Wohnung immer noch stark vom Prestigedenken bestimmt.
War das denn je anders?
Wohl nicht, aber die Bauhaus-Bewegung der 20er Jahre hat es sich zumindest anders gewünscht. Damals gab es ein Bewußtsein für einfache Möbel wie zum Beispiel den freischwingenden Stahlrohr-Stuhl.
Welche Kundschaft spricht auf diese einfachen Möbel an?
Ich sag' das mal ironisch: Wir müssen uns alle entscheiden zwischen der Leere im Kopf oder der Leere im Raum. Je mehr Leere im Kopf ist, desto weniger kann ich Leere im Raum ertragen. Es waren damals vor allem die Intellektuellen, die mit der Beschränkung auf die wichtigen Dinge leben konnten.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen politischen Entwicklungen und Design?
Zu bestimmten Zeiten wird Design besonders populär. Zum Beispiel interessierte man sich in den 70er und 80er Jahren stark für den öffentlichen Raum. Und das gestiegene Interesse an privater Einrichtung in den letzten zehn Jahren hat sicherlich etwas mit einem Rückzug ins Private zu tun.
Hatte denn die Bauhaus-Bewegung einen gesellschaftspolitischen Bezug?
Viele Vertreter haben sozialistisch gedacht und mußten dann im Dritten Reich emigrieren. Eine Art faschistisches Möbeldesign gab es allerdings nur bedingt. Die bürgerliche Wohnstube oder gar die Bauernstube wurden als Ideal dargestellt.
Wie hat sich das Design nach dem Krieg davon erholt?
Stilistisch gab es keinen Bruch. Die 50er Jahre waren eine eher unpolitische Zeit, die sich sehr in Folklore und Idylle und im American Dream verlor. Im Design äußerte sich das in einer Vorliebe für malerische Formen und Pastellfarben.
Die heile Welt?
Ja, aber schon in den 60er Jahren wurde ein Systemdenken auch im Möbelbereich wichtiger. Ein Stuhl mußte beispielsweise für möglichst viele verschiedene Menschen passen.
Haben die 68er eine Revolution im Design bewirkt?
Die sogenannten 68er überhaupt nicht. Die wären nie auf die Idee gekommen, sich Design-Möbel zu kaufen und haben höchstens den „Jaffa-Stil“in den Wohngemeinschaften verwirklicht, die improvisierte Apfelsinenkisten-Einrichtung. Für das Establishment spielten aber plötzlich individuelles Wohnen und Flexibilität eine Rolle. Beliebt waren z. B. Sofa-Elemente, die man variieren konnte. Es war halt die Zeit der Bewegungen.
Setzte sich das in den 80ern fort?
Nein, da wurde man postmodern und ironisch. Unmögliche Möbel wurden da gebaut, schrill, bunt, teilweise irrsinnig schwer und unpraktisch.
Aber das kam ja offensichtlich gut an.
Allgemein hatte das etwas mit einem gewissen Zynismus und einer ungeheuren Weinerlichkeit der Intellektuellen zu tun.
Wie entstehen heute neue Trends im Design?
Die Medien spielen eine immer größere Rolle. Es gibt heute eine Fülle von Trendangeboten, und diese erreichen einfach viel mehr Menschen als früher. Als Verbraucher blickt man da oft gar nicht mehr durch.
Klingt nach Manipulation.
Nein, in den 50er Jahren ist die Werbung noch der Hochkultur gefolgt. Heute geben Medien und Werbung die Denkmuster an, denen die Designer folgen.
Wohin weisen die aktuellen Trends im Möbeldesign?
Alles wird immer behaglicher, zurückgezogener. Da wird's ganz schön ruhig.
Sie sagten „Leere im Kopf oder Leere im Raum“– haben die Menschen also zur Zeit leere Köpfe?
Das ist natürlich eine Verallgemeinerung, aber die Tendenz sehe ich. Ich glaube, daß Menschen, die viel erleben und einen großen Horizont haben, ein ganz anderes Verhältnis zu Möbeln entwickeln und auf vieles verzichten können.
Fragen: Heike Dierbach
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