Das Portrait
: Die Querflöte wird 50 Jahre alt

■ Ian Anderson

Ian Anderson war ein ruhiger, etwas versnobter junger Schotte. Das änderte sich gründlich, als er zu Weihnachten 1967 die Rockband Jethro Tull gründete. Vorher gehörte der Name einem 1674 geborenen englischen Landwirt und Schriftsteller, dessen größter Erfolg ein Buch mit dem Titel „Wie man Pferde richtig beschlägt“ war. Obwohl Jethro Tull zunächst „wie eine elektrisch verstärkte Heilsarmee- Kapelle“ (Rolling Stone) klangen, machten sie doch schnell von sich reden. Denn wo die anderen jungen Bands sich geschniegelt gaben, in bunten Hippie-Klamotten und mit gefönten Haaren, traten Jethro Tull als Greise auf, in langen, uralten Mänteln mit speckigen Schlapphüten und ungepflegten Bärten. Sie schleppten sich mit Gehstock, Buckel und tiefen Gesichtsrunzeln auf die Bühne, nur um nach den ersten Takten zu explodieren und eine Show-Mischung aus Rock, Music-Hall-Spektakel und Marty Feldman Comedy abzubrennen. Tiefseetaucher, Bären, Frauen in Unterwäsche und weiße Riesenkaninchen traten auf. Ian Anderson war der brodelnde Mittelpunkt der Burleske. Er stand auf einem Bein, blies aggressiv in seine Flöte, hüpfte, sprang, rannte und wirbelte wie ein Derwisch auf Acid durch das Konzert.

Überhaupt diese Querflöte: „Zur Flöte kam ich durch puren Zufall“, erzählte Anderson einmal. „Ich wußte nichts über dieses Instrument. Die einzige Spielart, die mir damals gefiel, war das Gitarrenspiel. Daraus entwickelte sich ein Flötenspiel, bei dem ich weniger auf die Reinheit der Töne achtete, sondern einfach so fest hineinblies, wie ich nur konnte. Ich spielte die gleichen Läufe und Melodien wie auf der Gitarre. Die gleichen Solos. Das gefiel mir.“

Platten wie „Aqualung“ oder „Thick as a Brick“ wurden zu Millionensellern. Doch die Haare wurden dünner, die Hallen kleiner. Anderson nahm's gewohnt witzig. Er nannte ein Greatest- Hits-Album „Living in the Past“ und ein neues „Too Old to Rock 'n' Roll, Too Young to Die“. Jethro Tull blieben, wenn auch mit häufig wechselnden Mitgliedern, bestehen. Die weltweite Fangemeinde, die sogenannten „Tullies“, ebenfalls. Ian Anderson wurde nebenbei Geschäftsmann, zog in Schottland eine Lachszucht auf, die bald Millionenumsätze machte. Heute wird er 50 Jahre alt und ist immer noch mit Jethro Tull auf Tour. Das virtuose Flötenfeuer brennt noch. Karl Wegmann