■ Schröders Populismus geht auf Kosten der Ausländer. Und er verschiebt die politischen Koordinaten nach rechts
: Ein Schröder kommt selten allein

Gerhard Schröder hat recht: Die Probleme im Bereich der Inneren Sicherheit löst man nicht durch Tabuisierung. Zunehmende Massenkriminalität, steigende Gewaltbereitschaft – vor allem unter Jugendlichen –, Drogenmißbrauch und nicht zuletzt Bandenkriminalität und Organisiertes Verbrechen stellen den demokratischen Rechtsstreit vor eine gewaltige Herausforderung. Seine Legitimation hängt entscheidend davon ab, ob er im Stande ist, die grundlegenden Sicherheitsbedürfnisse seiner Bürger zu befriedigen.

Deshalb war es falsch, jahrelang jeden als rechts & reaktionär zu verteufeln, der sich für Law and order, für eine wirksamere Bekämpfung von Sexualstraftaten und Drogenmißbrauch, gegen Entkriminalisierung von Massendelikten und für die Ausstattung der Polizei mit ausreichenden Instrumenten zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben eingesetzt hat. Liberale und Linke haben sich aus ideologischen Motiven einer sachbezogenen Aufarbeitung dieser Themen verweigert und dadurch ein wichtiges Feld allein den Konservativen überlassen. Dies hat nicht nur ihre Akzeptanz beschädigt, sondern auch eine rationale Auseinandersetzung mit den Problemen behindert. Wer dies ausspricht und daran geht, Defizite zu beseitigen, ist deshalb weder rechts noch populistisch.

Skandalös ist hingegen die Art und Weise, in der sich Gerhard Schröder des Themas bemächtigt hat. Schröder hat zu allen einschlägigen innenpolitischen Debatten der letzten Jahre geschwiegen – ganz gleich, ob es sich um das Verbrechensbekämpfungsgesetz, die Reform des Sexualstrafrechts oder die Novellierung des Ausländergesetzes handelt. Deshalb verfügt er über keinerlei Legitimation, sich nun als Präceptor Germaniae aufzuplustern. Dies ist eine Frage der „politischen Korrektheit“ im ursprünglichen, positiven Sinne dieses Begriffs. Wo waren die weiterführenden Vorschläge aus Niedersachsen, als der Bundesrat gefordert war? Es ist nicht bekannt, daß Niedersachsen irgendwelche Anstrengungen unternommen hätte, zum Beispiel die Rückfallquote von Sexualstraftätern durch Bereitstellung ausreichender Therapieplätze (was natürlich Geld kostet) zu senken. Er hat auch jetzt keine konkreten Vorschläge gemacht, keine Gesetzesinitiativen angekündigt und keinerlei Absicht erkennen lassen, die Debatte in der SPD inhaltlich voranzutreiben. Er wird den Teufel tun, sich auf dieses Glatteis zu begeben, denn es würde die SPD in eine Zerreißprobe führen und damit die Wahlaussichten mindern. Deshalb beschränkt er sich darauf, in reißerischer Manier Worthülsen zu plazieren, Nebelkerzen zu werfen, um Akzeptanz für sich selbst zu schaffen. Die politische Botschaft bleibt dabei unklar – the man is the message. Das ist eine Verluderung der politischen Sitten.

Schröders starke Sprüche lösen keine Probleme. In dem Versuch, durch politische Tieffliegerei die „Lufthoheit über den Stammtisch“ zu gewinnen, spricht er aber – wahrscheinlich sogar bewußt – dumpfe, unterschwellig vorhandene Ressentiments gegen Ausländer und soziale Randgruppen an und schadet damit in verheerender Weise der gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland. Gerade weil es im Bereich der Organisierten Kriminalität viele Ausländer gibt (Stichwort „Russenmafia“), gerade weil man Bandenkriminalität auch dann wirksam bekämpfen muß, wenn Ausländer daran beteiligt sind, ist es ungeheuer wichtig, zu differenzieren: Das Problem ist die „Bandenkriminalität“ und nicht die „Ausländerkriminalität“. Daß es (selbstverständlich) auch kriminelle Ausländer gibt, ändert nichts daran, daß die übergroße Mehrheit der mehr als sieben Millionen in Deutschland lebenden Ausländer nicht mehr und nicht weniger kriminell ist als ihre deutschen Mitbürger. Genausowenig wie ein Kinderschänder in Bayern (Fall Astner) alle Deutschen zu potentiellen Sexualstraftätern macht.

Sicher, wer sein Gastrecht mißbraucht, hat in Deutschland nichts mehr zu suchen. Aber Gerhard Schröder verliert kein Wort darüber, wer denn eigentlich als „Gast“ anzusehen ist: Auch der türkische Industriearbeiter in Köln, der seit 35 Jahren Steuern und Sozialabgaben zahlt? Auch der Jugendliche, der in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, auch wenn er bei einer Polizeirazzia keinen deutschen Paß vorweisen kann?

Das Problem ist, daß die in Deutschland lebenden Ausländer derzeit immer mehr „falsche Signale“ empfangen, die Verunsicherung und Zweifel darüber wachsen lassen, ob ihre Integration überhaupt gewollt ist. Gleichzeitig verstärken diese Signale ausländerfeindliche Einstellungen am rechten Rand der Gesellschaft. So entsteht ein Teufelskreis wachsender Ressentiments auf der einen und zunehmendem Radikalismus und Fundamentalismus auf der anderen Seite. Nur wenn es gelingt, endlich auch einmal ein „positives“ Signal zu geben, zum Beispiel durch eine Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, wird eine sachbezogene Diskussion über Innere Sicherheit möglich sein, ohne das Integrationsziel zu gefährden.

Desavouiert werden dadurch auch jene, die für mutige Integrationskonzepte, ein zeitgemäßes Staatsangehörigkeitsrecht, eine adäquate Auseinandersetzung mit der Drogenproblematik (Schwedisches Modell) oder Sexualstraftaten (Niederländisches Modell) werben. Gerhard Schröder hat die Hemmschwelle für primitiven Populismus erheblich gesenkt. Er wird zum Kronzeugen für jene, die Nachdenken über Ausländerintegration, Benachteiligung von Randgruppen u.ä. schon immer für Gefühlsduselei und linke Sozialromantik hielten.

Und warum sollen jene in der Union, die bislang aus Verantwortungsbewußtsein der Versuchung widerstanden haben, auf Wahlkundgebungen und an Stammtischen leichten Beifall einzuheimsen, künftig tatenlos mitansehen, wie ihnen Schröder von der eigenen Klientel als leuchtendes Beispiel vorgehalten wird? Es besteht die Gefahr, daß das Ausländerthema und die Themen der Inneren Sicherheit wahltaktisch instrumentalisiert werden und daß es zum Wettlauf an die Stammtische kommt.

In spätestens zehn oder zwanzig Jahren werden die gesellschaftlichen Verwerfungen deutlich werden, die mit dieser kurzsichtigen Politik angerichtet werden. Gerhard Schröder kann dies egal sein. Er sitzt bis dahin als Politpensionär in der Toscana bei Brunello oder Vino nobile. Die jungen Deutschen und Ausländer, um die es geht, sitzen dann immer noch in Frankfurt, Kreuzberg oder Köln. Peter Altmaier