Nur die Exgeliebte packte aus

In Berlin begann der Prozeß gegen die vietnamesische „Ngoc-Thien-Bande“. Den Angeklagten werden im Bandenkrieg um Zigarettenschmuggel neun Morde zur Last gelegt  ■ Aus Berlin Vera Gaserow

Sechzehn Angeklagte, zweiunddreißig Verteidiger, ein Heer von Sicherheitskräften und ein Dolmetscheraufgebot wie bei internationalen Konferenzen – der Prozeß, der gestern vor der Jugendkammer des Berliner Landgerichts begann, verspricht einer der Superlative zu werden: Wohl zum erstenmal in dieser Dimension muß ein deutsches Gericht versuchen, den Verbrechenskatalog und die Strukturen einer ausländischen Mafiagruppe zu durchdringen.

Auf der Anklagebank sitzen die mutmaßlichen Mitglieder der vietnamesischen „Ngoc-Thien-Bande“. Bis zu ihrer Festnahme im Sommer 1996 sollen sie mit einer Serie von Morden, Entführungen und Schutzgelderpressungen Hauptakteure in einem blutigen Krieg rivalisierender Banden gewesen sein. Im Kampf um die Verkaufsreviere für den illegalen Zigarettenhandel starben dabei allein in der Hauptstadt vierzig Vietnamesen.

Neun dieser Morde rechnen die Strafverfolger den jetzt auf der Angeklagebank Sitzenden zu. Auf Befehl ihres 26jährigen Bandenchefs Le Duy Bao, der sich selbst „Ngoc-Thien“, „der Barmherzige“, nennt, sollen sie unter anderem das Blutbad angerichtet haben, auf das die Polizei im letzten Sommer in einer Marzahner Plattenbauwohnung stieß: Sechs gefesselte und geknebelte Vietnamesen waren mit Kopfschüssen aus nächster Nähe regelrecht hingerichtet worden. Liquidiert, weil sie als Verräter galten und den Aufenthaltsort ihres neuen Bandenchefs nicht preisgeben wollten.

Jetzt sitzen die mutmaßlichen Killer und ihre Komplizen hinter Panzerglas im Sitzungssaal – fünfzehn Männer und eine Frau, einige mit blassen, undurchdringlichen Gesichtern, andere belustigt feixend über den Medienandrang. Obwohl mit der deutschen Sprache und dem hiesigen Rechtssystem wenig vertraut, hat die professionell agierende Bande offenbar auch ihre Verteidigung gut organisiert – mit namhaften Strafverteidigern, die man aus anderen spektakulären Verfahren wie dem Mykonosprozeß oder dem Verfahren gegen Stasi-Chef Mielke kennt. Und die Phalanx der Verteidiger zeigte dem Gericht gleich am ersten Tag, daß mit ihr kein kurzer Prozeß zu machen ist: Zeitraubende Anträge auf Verfahrensunterbrechung und Ausschluß der Öffentlichkeit bestimmten den ersten Sitzungstag. Zu den Tatvorwürfen selbst werden die Angeklagten voraussichtlich eisern schweigen. Selbst Angaben zur Person werden etliche verweigern. Allein die Feststellung ihres Alters und ihrer Identität wird deshalb eine langwierige gutachterliche Klärung erfordern.

Einige der sechzehn sind aus ihren Asylverfahren unter mehreren Namen bekannt, einer behauptet, ein zwanzig Jahre Jüngerer zu sein, als der, für den man ihn hält. Aber auch beim Nachweis der einzelnen Tatvorwürfe wird sich das Gericht auf kompliziertem Terrain bewegen, denn die Anklage stützt sich vor allem auf ein Beweismittel: auf die ehemalige Geliebte des mutmaßlichen Bandenchefs, die gegen ihre ehemaligen Komplizin ausgepackt hat. Dieser Kronzeugin und weniger der eigenen Fahndungsarbeit verdankte auch die vierzigköpfige Sonderkommission „Vietnam“ der Berliner Polizei den entscheidenden Schlag gegen die vietnamesischen Banden.

Eher zufällig waren die Fahnder auf die Kronzeugin gestoßen, die selbst als führendes Bandenmitglied beschuldigt wurde, bevor sie sich zur Zusammenarbeit mit der Polizei entschloß. Vor allem von ihrer Glaubwürdigkeit wird deshalb der Ausgang des Verfahrens abhängen, das sich mit großer Sicherheit bis ins nächste Jahr ziehen wird.

Von den in Berlin lebenden Vietnamesen wird der spektakuläre Mafia-Prozeß kaum beachtet. Etliche beobachteten den blutigen Bandenkrieg ohnedies eher mit Schadenfreude, denn auch die Ermordeten waren es, die den kleinen Zigarettenhändlern horrende „Steuern“ für Verkaufsplätze abpreßten.

Die vietnamesischen Zigarettenhändler sind inzwischen fast völlig aus dem Berliner Stadtbild verschwunden.