Neonazi Kai Diesner gesteht Attentat

■ Gleich zu Beginn des Prozesses gibt Diesner zu, auf einen PDS-Buchhändler geschossen und einen Polizisten getötet zu haben. Er bezeichnet sich als „germanischen Heiden“ und spricht vom „Holocaust der weißen Rasse“

Lübeck (taz) – Kai Diesner aus Berlin ist ein bulliger Mann, den so leicht nichts aus der Bahn zu werfen scheint. Selbst eine Anklage wegen Mordes und des versuchten Mordes in drei weiteren Fällen nicht. Als Staatsanwalt Günter Möller gestern zu Prozeßbeginn die Anklage vor dem Lübecker Landgericht verliest, sitzt er trotzig mit aufgeworfenen Lippen zwischen zwei Polizisten und starrt stur auf den grauen Teppichboden.

Im Februar, wenige Tage nach einer Demonstration gegen Neonazis, stürmte Diesner in das Haus der PDS in Berlin- Marzahn und schoß den Buchhändler Klaus Baltruschat nieder. Vier Tage später, auf einem Parkplatz bei Lauenburg, feuerte er auf zwei Polizisten, die seine Personalien überprüfen wollten. Polizeiobermeister Stefan Grage starb an den Verletzungen, sein Kollege wurde verwundet. Während seiner weiteren Flucht schoß Diesner noch zweimal auf Beamte, bevor er sich festnehmen ließ.

Diesner gesteht seine Taten vor Gericht ohne Umschweife. Er fühle sich allerdings nicht schuldig im Sinne der „Lügenanklageschrift“. Gleichzeitig betont er mehrfach, er habe nicht in Tötungsabsicht gehandelt: „Ich bin kein eiskalter Killer.“ Der 24jährige sieht sich selbst als „Einzelkämpfer“ und germanischen Heiden.

Der Prozeß, der sich bis Oktober hinziehen wird, ist spektakulär, vor allem wegen der Persönlichkeit Diesners. Die einen sehen in dem Nazi-Attentäter einen neuen Typus: den psychopathischen Einzeltäter nach US-Vorbild mit der abgesägten Schrotflinte im einsamen Kampf gegen alles, was er hassen muß. Für andere zeigt der Fall Diesner, daß die organisierten Neonazis zum bewaffneten Kampf rüsten. Der Berliner war vor den Attentaten fest mit dem rechten Milieu verbunden. Diesner gehörte zum engsten Kreis um Arnulf- Winfried Priem, einem der wichtigsten Neonazi-Anführer Deutschlands. Die Aussagen enthüllen die wirren Ideologien, denen Diesner anhängt. Er sei kein Rechtsradikaler, sagt er – bei aller Sympathie für die Nationalsozialisten. Er kämpfe gegen den „imperialistischen, faschistischen und rassistischen Staat BRD“. Diesner bezeichnet RAF und IRA als seine Vorbilder. Er kritisiert den „Holocaust der weißen Rasse“ und meint, „die kulturelle Identität der weißen Rasse wird ausgelöscht“.

Der Vorsitzende Richter Franz Vilmar leitet die Verhandlung ruhig. Ohne drängende Stimme befragt er Diesner, den gelernten Feinmechaniker, liest Satz für Satz vor, was in den Ermittlungsakten steht. Vilmar, einem Mann Mitte 50, ist nicht an überstürzten Rechtfertigungen gelegen. Die gibt Diesner von sich aus. Nein, er habe sich nicht vermummt, als er aus der Hüfte auf Klaus Baltruschat schoß, sagt er. Schwer verletzen wollte er den Buchhändler auch nicht, vielmehr „nur anschießen. Der Buchändler, der bei dem Anschlag einen Arm verlor, sollte ja später darüber berichten.“ Das Attentat sei ein Denkzettel gegen die PDS gewesen, eine „undeutsche Partei“, weil sie das Grundgesetz akzeptiere. Wenn er Baltruschat habe töten wollen, so „hätte ich nachladen oder ihn mit dem Messer bearbeiten können“. Klaus Baltruschat (63), der genauso wie die Mutter und die Schwester des toten Polizisten Stefan Grage als Nebenkläger auftritt, hört gefaßt zu.

Diesner betont nicht explizit, daß er sich als politischer Gefangener sieht, doch wenn er nicht gerade seinen Kopf auf dem Handballen abstützt, kommen Sätze wie: „Staatsanwälte sind für mich Folterknechte des Staates, und die Bullen sind ihre Handlanger.“ Auch den erschossenen Polizisten Grage bezeichnet er als „Bullen“. Dieser zähle zu jenen, denen „in den Rücken, in den Kopf geschossen werden muß, wo man sie trifft“.

Der Prozeß wird nächsten Freitag fortgesetzt. Annette Rogalla