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Und jetzt geht's auf zum Volxgolfen

Es geht auch ohne dickes Bankkonto, Dünkel und Doktortitel: In Deutschland hat sich eine zweite Golfkultur jenseits der schwer Versnobten etabliert – mit respektlosen Freizeitspielern und autonomen Greenfee-Vagabunden  ■ Von den Fairways Bernd Müllender

Wie dieser Jürgen Schops in seinem ältlichen Volvo-Kombi schon hier vorfährt, am edlen Clubhaus Elfrather Mühle zu Krefeld. Zum Naserümpfen! Und wie er dann, welch ambientefremder Anblick, in auffällig großkariertem Holzfällerhemd und verwaschenen Jeans am Schild „No Blue Jeans“ vorbeischlurft und seine museumsreife Secondhand-Ausrüstung zum ersten Abschlag rollt. Also wirklich... Dem Ball indes ist das herzlich egal. Er will nur gut getroffen werden. Wusch! Klack! Zielsicher steigt er auf.

Der 40jährige Antiquitätenhändler aus Krefeld nennt sich „golferischer Autodidakt“. Vor drei Jahren hatte er beim alljährlichen Schwedenurlaub einen Golfclub entdeckt und einfach mal probiert. „Tolle Sache, wußte ich gleich, absolut faszinierend.“ Längst hat Schops Clubmitgliedschaft und Handicap, was ihn zum Spiel mit dem kleinen Ball überall auf dem großen Ball berechtigt.

Doch zu seinem ersten Auftritt in einem deutschen Club mußte er vom mitgolfenden taz-Reporter überredet werden: „In Schweden ist Golf Volkssport, da spielt jeder, wie es gerade kommt, man hat Zeit, und man hat Platz, aber hier...“ Was hier? „Diese Wichtigtuer überall in ihren Dandy-Schühchen, den kleinkarierten Hosen, alles so elitär. Das ist wirklich nicht mein Ding.“ Auf Mallorca, auf einem feinen Touristenplatz, wollte er es schon einmal versuchen. „Da wurde man namentlich aufgerufen, von einem Lakaien mit dem Elektrowägelchen zum 1. Abschlag chauffiert, absolut lächerlich. Und das beste: In größter Hitze waren selbst Bermudas verboten, also nee.“

Ortswechsel nach Berlin-Mitte, ins ehemalige Stadion der Weltjugend: jetzt Brachfläche mit Abraumhügeln und viel wucherndem Wildkraut. Am verrostenden Maschendrahtzaun verbietet die städtische „Nutzungsordnung für die Sportanlage“ ein illegales „Verrichten der Notdurft“. Tja, auch so sieht heute ein Golfplatz aus. Das Clubhaus ist ein Container, die welligen Übungsgrüns sind aus Kunstrasenmatten – was jeden etablierten Golfer schier entsetzen, Ökokritiker aber (siehe Kasten) wegen des Verzichts auf die Chemiekeule erfreuen würde.

Die Spieler kommen mit geschulterter Tasche aus der U-Bahn oder angeradelt. Ein neues Bild: Wo sonst sieht man einen Golfer im Straßenbild? Leihschläger gibt es auf dieser Übungsanlage für jedermann gegen Pfand. 40 Bälle für die Driving Range kosten drei Mark. Deren 50 Abschlagboxen sind voll belegt. Wusch. Klock. Wusch. Klack. „Scheiße!“ brüllt einer zur Linken und rammt wütend sein Eisen in den Boden. „Super!“ lobt sich rechts einer selbst. Sein Ball legt los, als starte er Richtung Unendlichkeit.

Einer der Übenden ist Carsten Bartz. Der 36jährige frühere Trabi-Mechaniker ist heute Verkäufer beim VW-Autohaus Mitte und kommt immer mal in der Mittagspause vorbei. „Hauptsächlich privat, weil mir das Riesenspaß macht“, sagt er. Aber er setzt auch auf unterer Ebene das um, was bei Geschäftsleuten schon immer Usus war und es seit Clinton sogar auch auf politischer Bühne ist: der Golfplatz als Kontakthof, als Verhandlungskulisse. „Für mich soll Golf auch ein Ersatz fürs Geschäftsessen werden. Eine nette Abwechslung in der Kundenpflege. Wenn man feststellt ,Ach, Sie spielen auch‘, vielleicht geht man dann ein halbes Stündchen hier raus.“ Und verkauft danach den Golf um so leichter.

In Deutschland hat sich, nach dem Vorbild angelsächsischer Länder, eine zweite Golfszene unterhalb der Oberärzte entwickelt. Die Edelclubs der reich Betagten und schwer Versnobten mit ihren bisweilen horrenden Jahresbeiträgen, den obligaten Bürgen und Wartelisten sind nur noch eine Seite der Medaille. Die andere Seite: öffentliche Plätze. Golf für alle.

Ortswechsel. Loch 1, noch gut 130 Meter bis zur Fahne, Milo Raças zweiter Schlag, der Ball tropft aufs Grün, rollt noch ein Stückchen und – plopp – verschwindet im Loch. Milo strahlt über soviel Dusel: ein Eagle, zwei Schläge unter Soll, Traum jedes Golfers. Als ihm gleich am Loch danach noch ein Birdie (ein Schlag unter Soll) gelingt, kann er ziemlich sicher sein: „Besser hat hier in der Geschichte des Platzes garantiert noch keiner begonnen.“

Der 52jährige Polsterer aus Berlin triumphiert an einem Ort, wo Leute wie er eigentlich gar nicht hingehören: im hochvornehmen Golfressort „Motzener See“, eine Stunde südlich von Berlin, wohin sonst allherbstlich Bernhard Langer seine Weltklassekollegen zu den renommierten German Masters ruft. An diesem Sommertag sind neben Milo, einem gebürtigen Bosnier, André Flamann (31), Wirtschaftsingenieur, und der Möbelrestaurator Wolfgang Zeh (53) am Ball. Alle drei gehören dem autonomen und selbstverwalteten Berliner Golfclub Albatros e.V. an, die derzeit wohl fortschrittlichste Variante, die 45,93 Gramm Hartgummi zum Fliegen zu bringen.

Albatros, 1993 gegründet, ist ein Zusammenschluß spielwilliger Hobbygolfer. Einen eigenen Platz hat man nicht, dafür schon 200 Mitglieder und ständig das Problem: Wo spielen? Die 15 Clubs im Berliner Umland reagieren recht unterschiedlich. „In Motzen sind sie sehr umgänglich“, sagt Wolfgang. Das bringt dem Club auch jedesmal 100 Mark pro Spieler. Andere aber, etwa der renommierte Club Wannsee, blocken ab. „Alles Duckmäuser gegenüber dem Verband“, schimpft André. Fremde sind da bah, zumindest suspekt.

„Manchmal haben Clubs auch schon versucht, von uns doppeltes Greenfee zu kassieren.“ Ein eigener Aufnahmeantrag beim Deutsche Golfverband DGV wurde abgelehnt: Ohne Platz keine Chance. „So ist eben deren Verbandspolitik“, sagt André, spricht von Mauscheleien, von Willkür, vom Klüngel im konservativen Verband, dessen Arroganz und Privilegien er „hirnlos, pervers und vollkommen bescheuert“ findet. Aber so ist das: Der Verband ist Monopolist und will die Usancen diktieren. Milo ist derweil immer noch von seinem blendenden Auftakt begeistert: „Und solche Größen wie uns wollen sie manchmal nicht spielen lassen.“

Nicht nur solch stolze Albatrosse, sondern auch Greenfee- Spieler mit Auslands-Clubausweisen machen sich daran, die feinen Golfghettos alter Art zu besetzen. Vor Ort, mitunter auch in Verbandsschriften, ändert sich schon das Vokabular. Da werden banale Bistros empfohlen statt einer edlen Gastronomie, wird mit Sonderkonditionen für Geringverdienende geworben und „mit vielen jungen Leuten“ auf dem Platz. Selbst das Binnen-I taucht auf, wenn die „TopspielerInnen des Clubs“ vorgestellt werden. Und im Golf-Sport-Verein Düsseldorf „trifft sich ein gemischtes Publikum vom Arbeitslosen bis zum Bankdirektor zum gemeinsamen Spiel“. Dieser GSV Düsseldorf ist ein Sonderfall. In den Rheinauen gleich gegenüber der Altstadt gibt es seit 1978 eine öffentliche Golfanlage. Lange war der Platz unter kommunaler Führung und brachte der Stadt allein mit Greenfee-Einnahmen jährlich ein Plus von 300.000 Mark. Jetzt hat der GSV den Platz von der Stadt gepachtet und bewirtschaftet ihn in Eigenregie. Mit sozialem Ansinnen: Manager Manfred Klee nennt „Gruppen von Sozialhilfeempfängern und Langzeitarbeitslosen“, die zum halben Preis Mitglied sind. Noch vor zehn Jahren war Düsseldorf der einzige öffentliche Platz in Deutschland. Und schon immer hoffnungslos überlaufen. Heute gibt es 80 Golfanlagen für jedermann, allein der Großraum München listet zehn solcher Plätze auf. Und fast alle neuen Privatclubs bauen neben einem Meisterschaftsplatz einen kleinen Platz zum Üben für Anfänger und als Lockmittel für Interessierte.

Zurück nach Motzen. Wolfgangs Ball liegt schon wieder im Rough, der ungemähten Wiese längs der Spielbahn. „Schwere Lage“, sagt das Golflatein dazu, doch Wolfgang kommt noch jedesmal erstaunlich treffsicher wieder hinaus. Dieses besondere Geschick muß von den harten Schulungen bei seinen ersten golferischen Erfahrungen herrühren. Das war vor vier Jahren auf den holprigen tiefen Wiesen im Treptower Park und der Berliner Hasenheide, wo man sich zum Nachtgolf traf.

In lichtstarken Vollmondnächten, erzählt Wolfgang, wurden mit Grablichtern Bahnen abgesteckt und mit Fahne und Autoreifen ein Ziel markiert. Dann flogen spezielle Leuchtbälle: „Reinstes Basisgolf, eine tolle Sache.“ Passanten und Pärchen im Gebüsch hätten schon gut aufpassen müssen, „aber richtig gefährlich“ sei es nie gewesen. Die skeptischen Polizisten wurden, das ist André wichtig, „zu Probeschlägen verleitet und so voll ins Spiel integriert“. Erfunden wurde das Nachtgolfen vom KGB, dem spaßguerillahaften Kreuzberger Golf Bund mit dem Vereinsmotto „Nehmt den Reichen ihren Sport weg!“. Der KGB ist personell eng verbunden mit dem heutigen Berliner Volxgolf e.V. Der wiederum ist einer der beiden Nutzer des Geländes im ehemaligen Stadion der Weltjugend und hat sich, golfpolitisch hochkorrekt, laut Satzung der Mehrung der Golfkultur in allen Bevölkerungsschichten verschrieben.

Doppelnutzung von Zeit und Raum gibt es nicht nur beim Nachtgolf. An kilometerbreiten Nordseestränden (Amrum, Terschelling) kann man des Abends manchmal Spaziergängern mit Eisen 7 und leuchtend roten Bällen begegnen. In Hamburg ist der große Parkplatz vor dem Volksparkstadion an 300 Tagen im Jahr unbenutzt gewesen; jetzt wird das Gelände von einem kleinen alternativen Club als Spielwiese genutzt. Und in Krefeld kann man auf der Liegewiese am Badezentrum außerhalb der Sommersaison auf einem improvisierten 9-Loch- Platz den ganzen Tag pitchen und putten.

Golf wächst sich aus zum Breitensport, fast wie Tennis vor 20 Jahren. Jeder achte Bundesbürger würde es gern mal versuchen: das sind fast zehn Millionen potentielle Schlägerschwinger und Einlocher. Da ist auch der Golfindustrie klar, welch konsumptives Potential im golfenden Menschen steckt. Im bayerischen Griesbach lockt ein 111-löchriges Golfmetropolis auf einer Fläche von bald 700 Fußballfeldern mit zahllosen Hotels, Schnupper- und Schulungsangeboten; Golfreisen boomen, platzsparende Indoor-Anlagen gibt es in jeder größeren Stadt, und Discounter-Ketten sorgen für preiswerte Komplettausrüstungen diesseits der 1.000 Mark.

Außerdem entwickelt sich Golf weg vom deutschländischen Vereins- und Verbandswesen hin zur Privatwirtschaft. Mit neuen Ideen: Die englische Paragon-Gruppe betreibt seit 1996 in Deutschland drei Golf-Akademien (Düsseldorf, Frankfurt, Dortmund), die jeweils im weitläufigen, sonst ungenutzten Innenraum von Pferderennbahnen liegen. Bezahlt wird, erklärt der Dortmunder Platzmanager, „wie beim Squash oder Tennis, halt nur soviel und solange man spielt“. Pro Bahn werden dann drei Mark von einer chipgesteuerten Akademiekarte abgebucht. Da kämen eben viele Angestellte „mal kurz in der Pause vorbei, entspannen sich bei drei oder vier Löchern, trinken noch einen Kaffee und gehen dann wieder relaxt zur Arbeit“.

Zurück nach Berlin-Mitte: Nadine und Nadja, zwei 16jährige aus Reinickendorf, hatten in einer Jugendzeitschrift einen Gutschein gefunden, Lockmittel des Platzpächters Golfclub Schloß Wilkendorf. Der hat weit draußen im Norden seine schicke Anlage und versucht hier Novizen zu infizieren. Hintergedanke: spätere Clubmitgliedschaft. Die beiden Schülerinnen mühen sich redlich, stochern, schwingen und sensen herum und verfluchen ihre vielen eleganten Luftlöcher. Schließlich finden sie es „viel zu kompliziert“ und „umständlich“. Ohne Betreuung ist ein Start auch denkbar schwer.

Vielleicht hätten sie eine Stunde bleiben sollen bis zum Jugendtraining, das von den Volxgolfern geleitet wird. Ein Dutzend Youngster drischt in Reihe nach dem Ball. Roland (15) trifft ihn verblüffend gut und hört: „Du bist echt talentiert. Unbedingt nächste Woche wiederkommen!“ Der Gelobte krault sich den flaumigen Erstbewuchs auf der Oberlippe: „Jaa juut, mal seehn!“ Wenn er wirklich gut ist, wird ihn sicher bald der reiche Herr Papa in einen großen Club lotsen? „Wer hier spielt“, sagt der Volxgolf-Lehrer, „hat keinen reichen Vater.“ Vielleicht wird Roland erst mal ein guter Albatros. Vielleicht wird er dann auch überall spielen dürfen. Einzelne der heutigen Albatrosse überlegen schon, sich einen zweiten Clubausweis, etwa aus England, zu besorgen – für die Heimspiele in der Region Berlin, wo man die golfenden Albatrosse für unerwünschte komische Vögel hält.

In Motzen liegt das 18. Grün vor uns, weiträumig von einem See umrandet, bekannt aus vielen TV- Übertragungen. Wir überqueren das Wasser gleich vor dem Clubhaus-Publikum alle bravourös, Milo gar aus championwürdigen 180 Metern: „Der Langer liegt mit zwei Schlägen auch nicht besser.“ Doch zwischen Milos ersten beiden Löchern und diesem letzten lagen noch 15 andere, und so landet er am Ende mit einer 90 bei 18 Schlägen über Par. „Für die German Masters“, grinst er, „reicht's halt doch nicht ganz.“

Flachs und Selbstironie gehören sowieso dazu: Manchmal etwa, sagt André, hat er Lust, mit „richtig bös karierten Hosen rumzulaufen“ oder sich grellsilberne Kappen als Erkennungszeichen anzuschaffen – so ein grottenhäßliches Teil, wie es der taz-Reporter, Vertreter des hochwohl angesehenen nordwalischen Baron Hill Golf Club in Beaumaris, an diesem Tag trug. Die Kappe versetzte die Empfangsdame im Clubhaus in helle Entzückung: „Nein, die ist aber todschick.“ Und gleich gewährte sie 50 Prozent Rabatt. Auch der hemdsärmelige Jürgen Schops war nachher zufrieden. „Halb so schlimm“, grinst er. „Könnte man öfters machen.“

Alle auf dem Clubgelände waren aber auch so ausgesucht nett gewesen und hatten dauernd so auffällig inständig gegrüßt! Das ist Ritual auf deutschen Golfplätzen: Das Gegenüber mit seinem besonders raffiniert tarnenden Holzfällerhemd könnte ja jemand ganz besonders Wichtiges sein. Und nicht nur so ein herumvagabundierender Greenfee-Spieler.

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