Ausstand soll Familien stärken

Besuch bei Streikposten vor einem UPS-Lager. Beim größten Streik in den USA seit 25 Jahren geht es um Vollzeitjobs. Regierung vermittelt  ■ Aus Washington Peter Tautfest

Die Ardwick Ardmore Road in Glenarden, Maryland, außerhalb Washingtons führt durch ein Gewerbegebiet aus unabsehbaren Parkplätzen. In dieser leeren Weite nehmen sich die zwei Dutzend Streikposten aus wie ein Schwarm bunter Vögel, die den Abflug nach Süden verpaßt haben. Vorbeifahrende Autos und Lastwagen hupen gelegentlich, als Zeichen der Solidarität mit den seit acht Tagen streikenden Arbeitern von UPS. Gelegentlich hält ein Auto Kartons mit etwas zu essen oder zu trinken aus einem nahen Supermarkt ab.

Ein vorbeifahrender Laster von Federal Express hupt nicht. „Die haben durch unseren Streik jetzt soviel zu tun“, erklärt Keith Greenleaf, der ein Plakat um den Hals trägt mit dem Slogan: „Unterstützt den Streik bei UPS“. „Der Fed-Ex-Fahrer ist sicher überarbeitet.“ Schließlich hat Greenleafs Gewerkschaft, die Teamster, bei UPS den größten US-Streik der letzten 25 Jahre vom Zaum gebrochen. Und die viel kleinere, nicht gewerkschaftlich organisierte Konkurrenz Fed Ex kann den zusätzlichen Paketansturm nicht bewältigen. 90 Prozent der sonst täglich 12 Millionen UPS-Pakete bleiben liegen.

Am Montag hat sogar US-Arbeitsministerin Alexis Hermann fünf Stunden lang ohne Ergebnis versucht, beim Streik zu vermitteln. Sie warnte vor einer weiteren Eskalation des Arbeitskampfes. UPS-Chef James Kelly hatte gedroht, die Streikenden zu entlassen. Ein Aussetzen des Streiks, das dem Präsidenten bei großen volkswirtschaftlichen Schäden rechtlich möglich ist, hat das Weiße Haus bislang auch abgelehnt.

Zu den zehn Streikposten in Glenarden gehört auch Sheree Brewington, 25, die seit sechs Jahren bei UPS als Fahrerin arbeitet. Zunächst hatte sie acht Stunden am Tag gearbeitet und fiel abends fast aus ihrem Laster. Das Manövrieren im Washingtoner Verkehrschaos war es nicht, das ihr damals die letzten Kräfte raubte, sondern die Menge und das Gewicht der Pakete. Sheree (sprich: Chérie) ist eine kleine Person, und man stellt sich vor, wie sie kaum vorgucken kann hinter den Büchersendungen, die sie ausliefern mußte. Heute arbeitet sie für die sogenannte Air Delivery, die Auslieferung eiliger Sendungen, die nicht unbedingt per Luftpost kommen, deren Zustellung aber je nach Preis und Zustellungsklasse bis acht oder zehn Uhr morgens garantiert ist. Ihr Arbeitstag beginnt um sechs Uhr. Um elf kann sie meist schon ausstempeln. Sie verdient aber nur 12.50 Dollar die Stunde, kaum genug, um selbständig davon leben zu können. Wäre sie noch full-time beschäftigt, bekäme sie für die gleiche Arbeit 20 Dollar. Zwei Drittel der 300.000 UPS-Arbeitnehmer arbeiten unter so prekären Bedingungen. Das ist einer der Hauptgründe für den Streik. Die UPS-Arbeiter und Arbeiterinnen im Ausstand wollen endlich ihren ganzen Lebensunterhalt mit einem Job bestreiten können. Von den 43.000 Jobs, die UPS seit 1993 geschaffen hat, sind nur 8.000 full- time. 2.500 zusätzliche Vollzeitstellen jährlich verlangen die Teamsters vom Unternehmen. Doch UPS-Chef James Kelly will trotz des von ihm selbst auf 300 Millionen Dollar geschätzten Streikschadens nur 200 Vollzeitstellen zusätzlich im Jahr zugestehen.

Während Sheree mit ihrer Freundin Kersha Taylor eingehakt vor der Ausfahrt von UPS auf und ab geht, nähern sich drei Laster mit Anhängern den Toren. „In den ersten Tagen war Polizei hier“, erklärt Keith Greenleaf, „und wollte sehen, ob wir die Ausfahrten blockieren. Inzwischen lassen sie uns in Ruhe, und wir lassen die aus der Verwaltung mit ihren Pakettransporten durchfahren.“

„Die aus der Verwaltung würden am liebsten auch streiken“, wirft Keith Greenleaf ein, „sind aber nicht gewerkschaftlich organisiert.“ 185.000 der 300.000 UPS- Beschäftigten gehören einer Gewerkschaft an. Auch die Festangestellten wie er setzen sich für mehr Festanstellungen ein, denn er hat erlebt, wie Teilzeitarbeitskräfte Leute wie ihn bedrohen. Das geht so: Die Firmenleitung versetzt Fahrer, Packer und Sortierer in weiter entfernte UPS-Lager. Wenn die neuen Fahrwege und längeren Fahrzeiten die Arbeiter noch nicht ausreichend zermürben, werden sie eben erneut versetzt. Irgendwann kündigen sie dann und werden ersetzt, und zwar nicht durch Festanstellungen! Auch feste Stellen werden auf die Weise zu zeitlich befristeten.

„Wir werden siegen“, strahlt Greenleaf Zuversicht aus. So wie Amerikas Wirtschaft sich das vorgestellt hat, kann es nicht gehen. Da redet man von der Stärkung der Familie als dem Heilmittel für alles, was im Lande nicht in Ordnung ist, die Arbeit aber ist so aufgeteilt, daß die einen sich totschuften müssen und weder abends Zeit für ihre Familien noch sonntags Kraft haben, in die Kirche zu gehen, während andere von ihrem Lohn erst gar keine Familie ernähren können.

Ein 18-Tonner stößt beim Runterschalten eine rußige Wolke in den lila Abendhimmel, sein Horn übertönt das Aufheulen des Motors und füllt für Augenblicke diese Flucht asphaltierter Stellplätze aus. Die Schar der Streikposten hebt und schwenkt ihre Plakate und Transparente und sieht aus wie ein Schwarm Vögel, der doch noch in den Süden aufbrechen will.