Makin' Whoopee!

Vorsicht, dieser Film kann Sie glücklich machen: In Woody Allens Musical „Alle sagen: I love you“ passiert das Jahr Revue, von Frühling zu Frühling, von New York über Venedig bis nach Paris. Es darf geheiratet werden!  ■ Von Mariam Niroumand

Am gesungenen Wort gibt es nichts zu kritteln. Gesprochenes Jammern und Wehklagen sind selten abendfüllend, aber wer einfach singt „I'm through with love, I'll never fall again“, ist zum Mitweinen für alle. Wenn das Musical so etwas wie die demokratisierte Form der Oper ist, dann ist Woody Allens „Alle sagen: I love you“ die Alltagisierung des Musicals: Anders als in den Erzgebirgen des Genres, wie „West Side Story“ oder „On the Town“, brechen seine Protagonisten nicht plötzlich in höhere Gefilde aus, mit perfekt trällernden Tremoli; eher denken sie einfach laut.

Dazu sind die alten Nummern gerade recht: „What a lovely day for love“, „My baby just cares for me“ oder „Makin' Whoopee“ werden als Privatangelegenheiten vorgetragen, mit den Stimmen, die Goldie Hawn, Julia Roberts, Drew Barrymore, Alan Alda oder Woody Allen eben zu Gebot stehen. Es sind nicht die schlechtesten. Jeder kriegt seinen Auftritt und verwendet zum Dank alle mobilisierbare Eleganz und Sorgfalt auf das, was er gerade noch sagen wollte.

„Also, wir sind keine typische Musical-Familie“, führt Djuna, genannt DJ (Natasha Lyonne) in den Film ein. Sie sind nämlich reich, Rechtsanwalt Bob (Alan Alda) und die Philanthropin Steffie (Goldie Hawn), Upper Westside, Park Avenue und Riesenwohnung, sie haben ein chronisch schlechtes Gewissen deshalb, und – sie mögen einander. Ihr Sohn Scott (Lukas Haas) ist neoliberal, aber, wie sich schließlich herausstellt, bloß, weil er als Kind zuwenig Sauerstoff im Hirn hatte. Süße Drew Barrymore! Sie ist Bobs Tochter Skylar in erschütterndem rosa Chiffon. Ihre Hochzeit steht alsbald bevor, mit dem allerreizendst mit den Augen klimpernden Holden (Edward Norton), und wie es einem Mädchen in diesen Wochen so geht, ist sie wie Pfirsich und Sahne und höchstens mitunter ein bißchen nervös. Der Central Park steht in vollem Frühjahrsgepränge, sogar die Schaufensterpuppen bei Yves Saint Laurent tanzen, und da kann es schon mal vorkommen, daß man einen Verlobungsring mit dem Nachtisch verschluckt, der später auf dem Röntgenbild leuchtet (der Röntgenologe tanzt dazu ein „Always on the outside lookin' in“).

Das Hausmädchen, schon ein älteres Mädchen, ist aus Deutschland. Immer muß sie hinter Opa herlaufen, der letztens erst nackt auf den Times Square gegangen war, um sich dort allerdings ordentlich in die Schlange zu stellen. Ihre Nudeln sind ohne Sauce („Italian sauce will reeeeeek!“).

Steffies früherer Ehemann Joe, ein glückloser Schriftsteller (ratet mal, wer) kommt zu Besuch und muß leider berichten, daß er sich in eine verheiratete Frau namens Von (Julia Roberts) verliebt hat: „I'm through with love.“ Nun möchte er sich umbringen. Vom Eiffelturm springen. „Wenn ich noch die Concorde kriege, kann ich drei Stunden früher da sein. Oder wartet mal, mit der Zeitverschiebung kann ich sogar sechs Stunden früher da sein, kann hier in New York noch was erledigen, aber schon drei Stunden tot in Paris sein.“ Aber die Mädchen um DJ wissen praktisch alles von Von, denn es bestehen Verbindungen zu ihrer Analytikerin, die es ermöglichen, Vons Stunden abzuhören. So kann DJ Joe wertvolle Tips geben („Du mußt ihr was von Kunst erzählen.“ – „Aber mein Verständnis von Kunst beschränkt sich auf Kirk Douglas“). Die Rechnung geht einstweilen auf; einige stille Tage in Clichy sind der Lohn.

Derweil hat die Philanthropin Steffie einen neuen „Pflegefall“ aufgetan, einen Ex-Sträfling (Tim Roth), den sie sogar zu ihrer Geburtstagsparty eingeladen hat, auf der nicht zuletzt Itzhak Perlman einen kleinen Benefiz-Einstand gibt. Der Sträfling konfrontiert die Park-Avenue-Mischpoke mit ein paar Sprüchen, daß denen die Kirschen im Cocktail gefrieren, und küßt zu ihrer Verwirrung die süße Skylar, die nicht einmal sagen kann, es habe ihr nicht gefallen. Die Hochzeit mit Holden wird einstweilen ausgesetzt.

Jeder hat sein kleines Shtickl

Im Musical kommen alle zu ihrem Recht, vom kleinen Chorus-Girl bis zum gestorbenen Opa oder dem Charakter in der Zwangsjacke („That's what you get for makin' whoopee“). Wie man merkt, geht es hier – anders als in der „Bergmann“-Phase mit „Hannah und ihre Schwestern“ oder „September“, aber auch noch „Ehemänner und Ehefrauen“ – nicht um Entwicklungen und Romanhaftes, sondern um Nummern, einzelne Shtickl; jeder kriegt eins. Ein Jahr passiert Revue.

Was das Genrekino überhaupt und das Musical ganz speziell so mit sich bringt, führt Woody Allen auch ein bißchen wieder zurück an seine Anfänge als Stand-up-Comedian, als er in den 50er Jahren im Bitter End auftrat, einem „Nachtclub für Leute, die Nachtclubs hassen“. Er beerbte Lokalgrößen wie Lenny Bruce oder Mort Sahl, in „Broadway Denny Rose“ erzählt er davon. Nicht unkomplizierte Witze über Sex gehörten ebenso zum Repertoire wie Witze über die Polizei; das Ganze war in der Tradition der jiddischen Kaffeehäuser Wilnas oder Warschaus gehalten, die wiederum den Immigranten der Jahrhundertwende in die engen Mietskasernen der Lower East Side gefolgt war.

Diese Witze waren gedacht für ein Publikum, das sich quer durch den Saal kennt, im Alltag dicht aufeinanderhockt und sich von dieser Enge auf zivilisierte Art Erleichterung verschaffen will, ohne Einsamkeit zu suchen. Solipsistische Attitüden werden auf die Dauer nicht geschätzt; das ist protestantisch, goyish, trauerklößig.

Echtes Glück lacht auch in Allens Filmen vor allem dann, wenn alle zusammen sind. Im Lauf der Jahre hat er den Kreis derjenigen, für die er sich interessiert, immer mehr erweitert. Während „Bananas“, „Der Schläfer“ und so weiter noch hauptsächlich um ihn selbst kreisten, während er sich von „Annie Hall“ bis „Stardust Memories“ noch einem einzelnen Paar widmete, wendet er sich seit der „Sommernachts-Sexkomödie“ im Lauf der Jahre immer mehr einem Ensemble zu, dessen Protagonisten zunehmend weniger aus dem unmittelbaren Allenschen Dunstkreis stammen. Die produktionstechnische Entourage blieb dieselbe, aber die Mischpoke wächst und wächst. Inzwischen kann sogar jemand wie Julia Roberts dabeisein.

Das Abendessen in der „Sommernachts-Sexkomödie“ war fast ein Abendmahl, nur eben ohne einen Jesus. Später stehen alle um eine magische Lampe und sehen ganz in der Ferne die Silhouette eines Paars auftauchen. Es schimmert weiß, verzweifelt fern, jenseitig – ach was, das heilige Paar; ist nicht viel besser, was wir hier drin haben? Hinter all den komplizierten Erörterungen über Sex und Liebe und deren Unvereinbarkeit lugt für kurze Momente – so zum Beispiel, wenn in „Hannah und ihre Schwestern“ gemeinsam „Bewitched, Baffled and Bewildered“ gesungen wird – der Traum vom herrlichen promisken Leben in der Urhorde auf, wo man ißt, trinkt, beschläft und wo du die Schwägerin haben kannst und deine Frau, die sich selbst wiederum auch zu versorgen wissen.

Die ganzen komplizierten Kreuzungen und möglichen Paarungen, über die der Zufall entscheidet (die Bezeichnung „Screwball“ wird einem in diesem Licht so richtig plausibel), sind eben letztlich Versuche, auf möglichst angenehme Weise aus dem eigenen Kokon herauszukommen. Fatal, wenn es nicht gelingt. „Sie müssen mir glauben“, erzählte Allen in einer seiner Bühnennummern von 1968, „ich hab' so was Verführerisches, wenn ich die Würfel schmeiße. Und ich bin am Würfeltisch und würfele, und eine sehr provozierende Frau kommt auf mich zu und mustert mich prüfend. Ich bring' sie nach oben in mein Hotelzimmer. Ich schließe die Tür, nehme die Brille ab, bin gnadenlos. Ich knöpfe mein Hemd auf, sie knöpft ihre Bluse auf. Ich lächle, sie lächelt. Ich ziehe meine Hose aus, sie zieht ihre Hose aus, und mir wird klar, daß ich in den Spiegel schaue. Ich will nicht ins Detail gehen, aber ich habe mir zwei Wochen lang die Glassplitter aus den Beinen gezogen.“

„Alle sagen: I love you“. Regie: Woody Allen. Mit Julia Roberts, Drew Barrymore, Goldie Hawn, Woody Allen u.a. USA 1996, 101 Minuten