Castro läßt Dissidenten verhaften

Vor dem Fünften Parteitag der kubanischen KP im Oktober geht die Polizei massiv gegen unabhängige Journalisten vor. Drei Bombenanschläge auf Touristenhotels sind noch ungeklärt  ■ Von Bert Hoffmann

Berlin (taz) – Die Stimmung in Havanna ist gespannt. In drei Luxushotels der Insel sind in den letzten Wochen Bomben explodiert. Die Regierung hat exilkubanische Kreise dafür verantwortlich gemacht, was nicht abwegig ist – schließlich ging eine vierte Bombe gleicher Machart in einem kubanischen Reisebüro auf den Bahamas hoch, die für Kubaner von der Insel schlichtweg unerreichbar sind.

Dennoch ist die Suche nach den Tätern bislang ohne greifbares Ergebnis geblieben. In Kuba, dessen Sicherheitskräfte seit Mitte der 60er Jahre Sabotageakte effektiv verhindert hatten, verändert dies die politischen Spielregeln erheblich. Das Schreckgespenst, daß die Krise des Landes eines Tages in bewaffnete Konflikte münden könnte, hat erstmals konkrete Züge bekommen.

Gleichzeitig bereitet die KP ihren Fünften Parteitag im Oktober mit einer innenpolitischen Verhärtung vor. Seit Monaten erlebt das Land eine Welle politischer Verhaftungen. Dissidentenkreise meldeten allein für Juli 83 meist vorübergehende Festnahmen von Regierungsgegnern. Und mit der Verhaftung von Raúl Rivero, dem Leiter des unabhängigen Pressebüros Cuba Press, ist am Dienstag nun einer der prominentesten Köpfe der Opposition inhaftiert worden.

Raúl Rivero war in Kuba geblieben, damals, 1991. Als das Ende der sozialistischen Welt noch frisch war und auch in Kuba die KP zur Diskussion für den anstehenden 4. Parteikongreß rief, hatten Rivero und neun weitere Intellektuelle einen offenen Brief geschrieben: Betont moderat forderten sie einen nationalen Dialog, die Wiederzulassung der Bauernmärkte und andere Reformschritte. Der Brief wurde als „Die Erklärung der 10“ bekannt – und er wurde zum Fall. Nichts war mehr mit Diskussion. Die Unterzeichner wurden aus allen staatlichen Institutionen verbannt, einige, wie die Dichterin Maria Elena Cruz Varela, von den „Brigaden der schnellen Antwort“ regelrecht überfallen, viele gingen ins Gefängnis und alle danach ins Exil. Alle, außer Rivero.

Seit Ende der 60er Jahre hat sich Rivero als Dichter einen Namen gemacht. Hauptberuflich aber war er Journalist, und zwar auf höchstem Niveau: Er war Korrespondent der staatlichen kubanischen Presseagentur „Prensa Latina“ in der Sowjetunion und bei den kubanischen Truppen in Angola, drei Jahre lang leitete er die Presseabteilung des offiziellen Künstler- und Schriftstellerverbands. Doch nach der Unterzeichnung der „Erklärung der 10“ wurde er zum Feind des Sozialismus erklärt, aus dem Künstlerverband ausgeschlossen, und auch als Journalist hatte er de facto Berufsverbot.

Raúl Rivero blieb im Lande, er trank viel, und die Regierung stempelte ihn als Säufer ab. Doch Rivero besann sich darauf, daß er Journalist war. Vor zwei Jahren gründete er ein „unabhängiges Pressebüro“ – und gab damit den Startschuß zu einer Bewegung unabhängiger Journalisten, die inzwischen neben den Menschenrechtsgruppen zum zweiten Standbein der Dissidentenszene avanciert sind. „Unabhängig“ heißt dabei aus Sicht des Staates „illegal“.

Die derzeitige Verhaftungswelle konzentriert sich in starkem Maße auf ebendiese „illegalen“ Journalisten – und macht sie paradoxerweise damit im Land überhaupt erst bekannt. Denn mit ihrer journalistischen Arbeit erreichen Rivero und Co im Lande direkt praktisch niemanden. Die Berichte von Cuba Press sind zwar kontinuierlich im Internet (http://www .Cubanet.org) zu finden – aber auch der Internetzugang ist in Kuba Staatsmonopol und Privatpersonen verboten.

Zwischen der „Erklärung der 10“ und den jetzigen Berichten von Cuba Press liegen dabei nicht nur sechs Jahre, sondern auch inhaltliche Welten. Der moderate Ton und die Hoffnungen auf eine Reform von innen heraus sind verschwunden; statt dessen haben sich Krise und Verbitterung festgefressen, dominieren Anklage und oft schwerverdaulicher Agitprop gegen das Castro-Regime. Und wo die Berichte der unabhängigen Journalisten nur übers Ausland – sprich: Miami – an die Öffentlichkeit kommen können, wird auch der Vorwurf der Regierung, die Opposition sei von den Exilkubanern und den USA abhängig, zu einer Selffulfilling prophecy.

Bereits vor einigen Tagen war Rivero vorläufig festgenommen und nach einigen Stunden wieder entlassen worden. Am Dienstag wurde nach seiner Festnahme sein Haus sieben Stunden lang durchsucht und das gesamte Archiv von Cuba Press beschlagnahmt, wie seine Frau mitteilte. Das macht es wahrscheinlich, daß ihn ein Prozeß wegen „Feindpropaganda“, „Bildung einer illegalen Vereinigung“ und ähnlicher Delikte erwartet – und eine möglicherweise mehrjährige Freiheitsstrafe.