■ Mit Grenzwert-Arithmetik auf du und du
: Keine Vorsorge

Leverkusen (taz) – Der Auftrag aus dem Bonner Umweltministerium war klar: Vorsorge soll künftig nicht bezahlt werden. Und die Zahl der Altlasten sollte schrumpfen – höhere Grenzwerte mußten her, für Blei, Kadmium und Konsorten. Schluß mit den Besorgniswerten, die ein Handeln nahelegen, wenn eine Vergiftung von Menschen eintreten kann; her mit den gefahrenverknüpften Grenzwerten, die erst greifen, wenn Menschen mit Sicherheit vergiftet werden.

Doch wie kommt man auf diese Werte? Wie kann man die bislang gehandelten niedrigen Grenzwerte wieder hochrechnen? Die Umweltmediziner im Auftrag der Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU) besannen sich auf die üblichen Methoden bei der Auswertung von Tierversuchen. Dort wird der im Labor gerade noch unschädliche Wert in der Regel mit dem Sicherheitsfaktor zehn multipliziert. Damit will man sicher gehen, daß Menschen nicht gefährdet werden.

Diesen Sicherheitsfaktor könnte man ja wieder herausrechnen, dachten sich die Mediziner, um zum gefahrenverknüpften Wert zu kommen. Ganz so weit trauten sich die Toxikologen dann aber doch nicht. Zur Abmilderung zogen sie die Wurzel aus zehn – einfach so. Der Grenzwert steigt daher um den Faktor 3,3.

Für Grenzwerte im Bodenschutz kommt noch ein zweiter Rechengang hinzu: Anders als wenn man verseuchte Lebensmittel ißt oder dreckige Luft einatmet, nimmt man bei Bodenvergiftungen die Schadstoffe ja nicht direkt zu sich, sondern über die Haut oder dort angebautes Gemüse. Wer also die aufgenommene Menge in Abhängigkeit von der Schadstoffkonzentration im Boden bestimmen will, hat reichlich Interpretationsspielraum.

Die Mediziner des Bundesumweltministeriums haben bei ihrer Überlegung im Garten spielende Kinder und den Anbau von Nutzpflanzen vor der Haustür einfach nicht vorgesehen – die Giftaufnahme etwa über eigenes Gemüse fehlt also völlig. Ergebnis: Während die IFUA-Gutachter im Osnabrücker Stadtteil Wüste im Auftrag des Umweltamtes der Stadt einen Grenzwert von 0,6 Milligramm pro Kilo (mg/kg) Boden ermittelten, kam das BMU auf 6,6 mg/kg. Kurz noch gefahrenverknüpft und plötzlich sind sogar 20 mg/kg erlaubt. Künftig dürfen Behörden erst einschreiten, wenn dieser Wert überschritten ist.

Für die Hälfte der in Wüste gefundenen Schadstoffe schlägt der Verordnungsentwurf jedoch gar keinen Prüfwert vor. Das hat kuriose Folgen: Für Zink, Barium und Kupfer können die IFUA-Gutachter auf ihre eigenen, sichereren Werte zurückgreifen. Detlef Stoller