Ist Multi-Kulti wirklich machbar?

■ Der Schriftsteller Aleksandar Tisma spricht über Gewalt

Nicht nur im sicheren Deutschland sitzenden Beobachtern des ethnisch-religiösen Gemetzels im ehemaligen Jugoslawien mögen die Vorgänge dort noch immer unvorstellbar, die absurd inkonsequenten Haltungen der Uno, der EU, der Nato unfaßbar vorkommen. Auch Exbürger des zerbrochenen Vielvölkerstaates – und nicht zuletzt Intellektuelle – fühlen sich ohnmächtig gegenüber einer Erscheinung, die man vor Ausbruch dieses Krieges für undenkbar gehalten hatte: Daß Bruderarmeen ein Land zerstören und seine Einwohner massakrieren aufgrund rassistischer Axiome und sich selbst vernichtender Machtinteressen.

Angesichts der Tatsache, daß man sogenannte „ethnische Grenzen“ nicht einfach durch militärische Grenzziehungen legen kann, hatte der Schriftsteller Aleksandar Tisma schon 1993 von einem „aussichtslosen Krieg“ gesprochen. Tisma, dessen Roman Der Gebrauch des Menschen 1991 in Deutschland erschien und mit seiner unsentimentalen Beschreibung von Kriegserscheinungen im Zweiten Weltkrieg für Furore sorgte, lieferte mit diesem Mitte der Siebziger geschriebenen Buch eine Beschreibung der Zeitlosigkeit von menschlicher Grausamkeit, die durch die späteren Ereignisse deprimierend bestätigt wurde.

Der inzwischen in Frankreich im Exil lebende Autor, der sich selbst noch als Ex-Jugoslawen bezeichnet, war nach dem Ende des zweiten Weltkrieges in seiner Heimatstadt Novi Sad geblieben und hatte dort, von den Erinnerungsorten zum Rekapitulieren verloschener Spuren von Menschen und Zeiten gezwungen, begonnen, die Veränderungen zu beschreiben, die Menschen im Krieg durchmachen. Dies erfüllte sich schließlich in Der Gebrauch des Menschen.

Tisma, der in den letzten zwei Jahren von beinahe jedem halbwegs bedeutendem Medium zum Balkankrieg befragt worden ist, hat eine überraschend distanzierte Haltung zur Multi-Kulti-Philosophie westlicher Industrienationen. Aus seinem persönlichen Erleben schätzt er die gesellschaftlichen Gefahren von Vielvölkerstaaten gegenüber den persönlichen Bereicherungen weit größer ein. Mit dieser These mag der sonntägliche Referent der Reihe Reden über Gewalt und Destruktivität vielleicht etwas Reibung in die ansonsten sehr eingängigen Vortragsmati-neen bringen. Till Briegleb

Sonntag, 11 Uhr, Deutsches Schauspielhaus