Von Pickelhauben und Schwielensohlern

In Berlin wird das 25jährige Amtsjubiläum eines arabischen Ölscheichs mit einem Kamelrennen auf der Galopprennbahn Hoppegarten gefeiert. Das nennt man ein „Hauptstadt-Event“ – und manche Berliner fühlen sich deswegen sehr weltstädtisch. Doch zuerst müssen die Kamele durchs Bandenburger Tor  ■ Von Andrea Böhm

Es gibt Momente, um die man Menschen beneidet, zu deren alltäglicher Routine sie gehören. Zum Beispiel das Morgentraining an der Berliner Galopprennbahn Hoppegarten. Für überflüssige Gespräche sind zuwenig Leute da; die Sonne steht noch tief genug, um das Gefühl zu genießen, dem Tag eine Nasenlänge voraus zu sein. Pferdehufe klackern auf dem Steinboden, die Reiter grüßen mit einem kurzen „Guten Morgen“, bevor sie ihre Tiere in Richtung Trainingsbahn lenken. Ein paar Katzen räkeln sich auf Strohhaufen. Am Ende des Stalls döst ein fettes Schaf, dessen Existenzberechtigung an diesem Ort nur darin besteht, durch seine Anwesenheit ein besonders nervöses Rennpferd zu beruhigen. Kurz vor acht, zwischen der zweiten und dritten Traininingsrunde, legt Uwe Stech eine Kaffeepause ein. Ein Tisch und ein verschlissenes Sofa passen gerade mal in die kleine Kammer am Stalleingang; von der Decke baumeln Fliegenfänger, an der Wand hängt ein alter Zeitungsausschnitt, der ihn als Hindernis-Champion der DDR zeigt. 13 Jahre ist das her. Seitdem hat die Weltgeschichte auch in Hoppegarten ein paar Purzelbäume geschlagen – und der ehemalige Starjockey und heutige Trainer Uwe Stech ein paar turbulente Erfahrungen gemacht. Mit der Auflösung der DDR im allgemeinen und des VEB Vollblutrennbahnen im besonderen, zu dessen Werktätigen Stech gehörte. Mit westdeutschen Geschäftsleuten, missionarischen Tierschützern und egomanischen Pferdebesitzern – allesamt Menschen, mit denen er sich früher nie befassen mußte. Dann war da noch die Sache mit „Don Rudolfo“. Und nun das: Kamele auf der Galopprennbahn. „Paarhufer-Familie der Schwielensohler“, laut Lexikon, „mit gespaltener Oberlippe, mehrkammerigem Magen und einem Kehlsack bei den Hengsten, der zur Brunstzeit ausgestülpt wird.“ Uwe Stech versteht nichts von Kamelen, aber inzwischen einiges von Geld und Vermarktung. „Dreikommafünf Millionen für so 'n Kamelrennen sind für die Scheichs doch Peanuts.“ Einen so ausgabenfreudigen Renntierbesitzer hätte er auch gerne.

Über die Motive „Seiner Königlichen Hoheit Scheich Zayed Bin Sultan Al Nahyans“, seines Zeichens Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), ein paar seiner Rennkamele als Leihgabe in Berlin-Hoppegarten an den Start zu schicken, darf man spekulieren – was die Arbeitsreiter, Pferdetrainer und Jockeys in Hoppegarten auch reichlich tun. Fest steht, daß das Rennen um den „Scheich Zayed Cup“ am kommenden Sonntag ganz den Bedürfnissen einer neuen Spezies entgegenkommt: dem Hauptstadt-Marketing-Experten. Der wiederum gehört zur Provinzlerfamilie der Metropolenbeseelten mit geschäftiger Ober- und Unterlippe und einem Handy, das bei den Hengsten meist in der Brusttasche zu finden ist.

Aus irgendeinem Grund haben die Berliner seit dem Wiederaufstieg zur Hauptstadt das starke Bedürfnis, auf diesen Umstand mit absonderlichen Ereignissen aufmerksam zu machen – als gelte es, dem alten und neuen Status mit einem Varieté der Skurrilitäten gerecht zu werden. Daniel Barenboim „dirigierte“ unlängst die Kräne auf der Riesenbaustelle am Potsdamer Platz; der Bundespräsident ließ eine unsägliche Ansprache im Hotel Adlon durch PR- Tricks zur „Berlin-Rede“ mit eingebautem „Es geht ein Ruck durch die Nation“-Effekt hochfrisieren. Und nun rufen die BAO Berlin Marketing Service GmbH und die Partner für Berlin/Gesellschaft für Hauptstadt Marketing hier die „Kamelhauptstadt Europas“ aus – unter Schirmherrschaft des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen und des brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe.

Haupstadt-Marketing zeichnet sich vor allem durch gnadenlosen Umgang mit Metaphern aus: Das Rennen, sagt der BAO-Geschäftsführer, soll „zu einem Fest auf einem fliegenden Teppich“ werden, „zu einem Sesam-öffne-dich für die Wirtschaftskontakte zwischen Morgen- und Abendland“. Das Rennen, sagt der Geschäftsführer von Partner für Berlin, der einst Umwelt- und Kultursenator war, „soll die Weltoffenheit und die enormen wirtschaftlichen Potentiale unserer Stadt“ demonstrieren. Das klingt jetzt wirklich märchenhaft, wenn man weiß, daß die Finanzsenatorin eine Haushaltssperre verhängt hat und die Weltoffenheit kaum reicht, Ge- und Verbotsschilder mehrsprachig zu drucken. Aber all das wird die Berliner nicht davon abhalten, am Sonntag zahlreich zum Kamelrennen zu erscheinen.

Zahlreicher als zu den Renntagen der Galopper. Denn die Berliner lieben Rummel und Skurriles – besonders wenn man ihnen verspricht, „in die atemberaubende Welt Arabiens einzutauchen und mitzuerleben, wie Rennkamele über den Turf jagen“. Just in dieser Verheißung liegt das Problem: Keiner weiß so genau, ob, und wenn ja, wie schnell, die Höckertiere laufen werden.

Khouria hat Augen wie Bette Davis und einen schlechten Tag. Statt mit den anderen beim mittäglichen Training in einen gemächlichen Trab zu verfallen, hat sich die Kamelstute unter völliger Mißachtung der Anstrengungen ihrer Reiterin auf dem sattgrünen Rasen der Hoppegartener Rennbahn niedergelassen, um selbigen büschelweise in ihren mehrkammerigen Magen zu befördern. Kamele bringen ein paar Charaktereigenschaften mit, die Rennpferde nicht haben. Da ist zum einen die Abneigung gegen Kurven, zum anderen die Eigenschaft, nicht zweimal an derselben Stelle vorbeizulaufen. Das schließt ein Rennen über mehrere Runden aus – es sei denn, man brächte die Zuschauer dazu, sich nach dem ersten Durchlauf schnell umzuziehen. Da ist zudem die vielzitierte Sturheit der Tiere, die ihnen trotz mangelhafter Ästhetik einen ungemeinen Charme verleiht. Wenn ein Kamel nicht rennen will, dann rennt es nicht – egal, ob in Hoppegarten deutsche Amateurjockeys draufsitzen oder in Abu Dhabi einheimische Profitrainer.

Während in Uwe Stechs Stall die 13 Pferde, die er derzeit betreut, nach individuell dosierten Trainingsrunden mit dem Wasserschlauch abgespritzt, trockengeführt und gefüttert worden sind, beginnt Raschid al-Mansouri seinen Arbeitstag erst. Im blauen Jogginganzug, Baseballmütze und einer Sonnenbrille, die Karl Lagerfeld alle Ehre machen würde, inspiziert er die Runde seiner Schützlinge. Die Jockeys, fast ausschließlich Mädchen und junge Frauen, haben ihre Kamele bereits mit einer Kombination aus Fellen und Decken gesattelt. Die meisten stammen aus dem Schwarzwald, wo sie sich dem einzigen Kamelverein Deutschlands „Fata Morgana“ angeschlossen und von dessen Gründer, dem Landwirt Wilhelm Breitling, zur dreiwöchigen Jockeyausbildung nach Abu Dhabi geschickt worden sind. Simone Vetters zum Beispiel, eine 23jährige Geographiestudentin, die von der Pferde- zur Kamelliebhaberin konvertiert ist. „Einfach, weil es so tolle Tiere sind.“ Eigenwillig wie Katzen. „Pferde sind wie Hunde“, seufzt sie über ihre alte Liebe. Zu anhänglich, zu leicht mit Mohrrübe und Zuckerstückchen zu manipulieren.

Bevor es auf die Bahn geht, greifen al-Mansouri oder einer seiner Kotrainer erst mal zum Handy, um ein bißchen mit Familie und Freunden in Abu Dhabi zu parlieren. Eines der Tiere beginnt einen Klagegesang, der irgendwo zwischen den Lauten eines gefolterten Esels und einer Kreissäge anzusiedeln ist. Al-Mansouri hält dem Kamel das Handy ins Maul, damit der Bruder daheim sich mit eigenen Ohren davon überzeugen kann, daß im fernen Hoppegarten alles nach Plan läuft. „Nur das mit dem Start müssen wir noch üben“, wird er später per Dolmetscher erklären.

Ein paar ortsansässige Zocker, Trainer und Arbeitsreiter kiebitzen am Zaun. „Det is' doch keen Rennen, wat die da machen“, kommentiert einer, als die Kamele gemächlich in die Zielgerade einbiegen. „Wenn die Jockeys wenigstens 'nen Turban hätten...“, assistiert der nächste. Es ist – auch wenn keiner es so offen sagt – ein Sakrileg in ihren Augen, etwas anderes als Pferde auf das Heiligtum eines jeden Galopprennsportlers zu lassen: die Bahn. Und es schwingt – auch wenn keiner es so offen sagt – ein Stück Neid und Bitterkeit darüber mit, daß ein paar Schwielensohler mehr Leute anlocken werden als zum Beispiel das Rennprogramm am letzten Sonntag. Da lieferte sich ein hochkarätiges Feld mit der Derbysiegerin Borgia ein spannendes Finish im mit 400.000 Mark dotierten BMW Europa Championat. 15.000 Leute, so sehr freundliche Schätzungen, haben es gesehen. Mindestens 40.000 erwartet man zum Kamelrennen – und da darf noch nicht mal gewettet werden.

Dabei sind Pferderenntage in Hoppegarten – entgegen herrschenden Klischees – alles andere als eine elitäre Veranstaltung. Zu DDR-Zeiten blieb das werktätige Volk auf den weißgetünchten Logen, Baujahr 1868, ohnehin unter sich. Mit Galopprennsport, sagt Uwe Stech, waren keine olympischen Medaillen und somit auch keine Siege gegen den kapitalistischen Westen zu gewinnen, weswegen die Funktionärskaste weitgehend abwesend war.

Auch heute, nachdem die versprochenen „blühenden Landschaften“ im Osten ausgeblieben sind, zocken hier die kleinen Leute. 2,50 Mark ist der Mindesteinsatz. Die Garderobe reicht von Stonewashed mit den obligatorischen Socken und Sandalen über Batikhemden mit Badelatschen bis zu Raver-Outfits und Armani-Jacketts. 14jährige studieren für Mama die Rennzeitung, während die über dem Wettschein brütet und Papa Bratwurst und Bier vertilgt. Auf der Wiese hat sich eine Burschenschaft versammelt und schwitzt mannhaft vor sich hin. Auf den obersten, billigeren Plätzen stopfen sich zwei Herren mit langen Pferdeschwänzen ein Haschpfeifchen. Doch selbst das bekiffteste Hirn kann noch jenen Erregungszustand weiterleiten, in dem sich ruckartig der Rücken strafft und die Hälse recken, wenn das Feld in die Zielgerade rast. Hier weht kein Hauch von Ascot. Es herrscht Sommerausflugsstimmung inmitten der riesigen Anlage von 440 Hektar Wald und Wiesen und ihren alten Tribünen, deren weiße bröckelnde Farbe ein wenig an das Ambiente eines alten Kurbades erinnert. Die paar Herren in feinen Sommeranzügen samt Damen, die in hochhackigen Schuhen und meist unvorteilhaften Hüten durch Sand und Pferdeäpfel staksen, um den Dünkel längst vergangener Jahre wiederzubeleben, wirken irgendwie fehl am Platz. Ebenso wie der VIP-Toiletten- Container und die Berliner Stadtmusikanten, die mit wilhelminischen Uniformen und Pickelhauben die Europahymne spielen. Dabei fallen viermal die Lautsprecher aus. „Det is' typisch Berlin“, seufzt ein Zocker. Bei der Nationalhymne nach dem Rennen funktioniert die Anlage dann wieder. Bei den Wessis geht der Trend zum Aufstehen, bei den Ossis zum Sitzenbleiben.

Irgend etwas wird passieren müssen mit dieser Oase der unterkühlten Koexistenz im Osten Berlins – und zwar bald. Wer in Hoppegarten zukünftig an welcher Stelle Geld investiert, pachtet oder verwaltet, ist trotz jahrelanger Verhandlungen zwischen der Treuhand, ihrer Nachfolgeorganisation BVVG, dem Land Brandenburg, der Ortsgemeinde Dahlwitz-Hoppegarten und dem alten, 1945 durch die Bodenreform enteigneten Besitzer, dem Union-Klub, immer noch nicht klar. Statt dessen wird der Unterhalt der Anlage aus Steuergeldern kräftig bezuschußt. Mit nurmehr 15 Renntagen ist die Anlage ebensowenig ausgelastet wie Uwe Stech mit 13 Pferden. „Aber wir sind eben abhängig von Leuten, denen es gut geht – und die Geld für ihr Hobby ausgeben. Und wenn's den Leuten mal nicht so gut geht, dann spüren wir das sofort.“ Knallhart bekam er eben auch zu spüren, als es „Don Rudolfo“, dem Berliner Gastronom mit italienischem Paß, plötzlich nicht mehr gut ging. Der hatte, ganz Mann von Welt und Geld, gleich 20 Rennpferde in Stechs Stall gegeben. Dann erwischte ihn die Polizei mit einem Koffer voller Dollar-Blüten. „Don Rudolfo“ verlor die Freiheit und Uwe Stech 25.000 Mark, was ihm wirtschaftlich beinahe das Genick brach. Wenn er dem Kamelrennen denn etwas abgewinnen kann, dann die Hoffnung, daß vielleicht ein paar Besucher ihr Herz an Hoppegarten verlieren und zu Fans der Galopper werden. Vor allem dann, wenn sie nach einem Sonntag mit widerspenstigen Kamelen mal ein richtiges Rennen sehen wollen.

Die haben unterdessen ihr Training beendet, liegen auf der Bahn und grasen. Zwischen arabische Anweisungen und Berliner Schnauze mischen sich badische Laute. „Die Leut denke, hier geht am Sonntag die Poscht ab“, erklärt ein langhaariger Blonder mit Batikhosen und etwas verknittertem Gesicht, der sich als Hanspeter Mattuscheck, Obertierpfleger der Stadt Freiburg, Spezialgebiet Trampeltiere, und Betreuer der Rennkamele vorstellt. Er ist sichtlich bemüht, die Erwartungen der versammelten Presse an eine heiße Turfjagd herunterzuschrauben. „Aber des läuft so net. Des Renne isch vor allem für die Feier zum 25jährige Bestehe der Vereinigte Arabische Emirate gedacht.“ Womit er offenbar sagen will, daß feierliche Anlässe das Tempo bremsen. Simone Vetters weiß immer noch nicht, wie am Sonntag gestartet wird. Sie hat erst ein Rennen in ihrer kurzen Karriere mitgemacht – zum Abschluß ihrer Ausbildung in Abu Dhabi. „Da haben uns die Trainer in eine Reihe gestellt und dann soviel Krach gemacht, bis die Tiere losgelaufen sind.“ Nicht mal das können sie vor Sonntag noch üben. Statt dessen haben die Hauptstadt-Vermarkter einen Kamelritt durchs Brandenburger Tor eingeplant. Das muß wohl sein. Wegen der Weltoffenheit.