Vom Schmuddelkind zum Werbeträger

25 Jahre InterRail-Ticket: Die europäischen Eisenbahnen feiern nicht, versprechen aber ein verbessertes Angebot, um die Kunden von morgen bei der Stange zu halten  ■ Von Martin Ebner

Einen Monat lang von Norwegen bis Marokko, von Irland bis in die Türkei durch dreißig Länder kreuzen, noch auf dem Bahnsteig alle Reisepläne über den Haufen werfen, weil der Zug auf dem benachbarten Gleis lockt – InterRail ist weit mehr als eine normale Fahrkarte. Für Tausende Jugendliche ist das Trampen auf Schienen das Ferienerlebnis schlechthin. Für den Schriftsteller Luca Conti verkörpert es sogar „ein letztes Stück Freiheit in einer Gesellschaft, die alles organisiert“.

Ins Leben gerufen wurde das preiswerte Ticket für alle Reiselustigen (im Alter bis einschließlich 25 Jahre) von der Internationalen Eisenbahnunion (UIC): Um den 50. Geburtstag des Internationalen Verkehrsgesetzes zu feiern, entwickelte sie 1972 dieses Ticket „zur Förderung des europäischen Jugendreiseverkehrs“. Die Jugendlichen nahmen das Angebot begeistert an: Im Rekordjahr 1991 waren über 500.000 InterRailer unterwegs.

Vier südeuropäischen Bahnverwaltungen war das sogar zuviel. Sie klagten über Horden ebenso ungewaschener wie mittelloser Rucksacktouristen, vor allem aber über – ihrer Auffassung nach – zu geringe Einnahmen aus dem Verkauf des InterRail-Tickets. Frankreich, Spanien und Italien, also ausgerechnet die beliebtesten Reiseländer, drohten auszusteigen. Erst nach zähen Verhandlungen, nach Interventionen des Europarats und verschiedener europäischer Regierungen konnte ein Kompromiß gefunden und InterRail gerettet werden.

Die 1993 folgenden drastischen Preiserhöhungen (von 410 Mark auf heute 630 Mark) führten allerdings zum ebenso drastischen Einbruch der Verkaufszahlen. Während die Deutsche Bahn zu Beginn der neunziger Jahre pro Jahr rund 60.000 InterRail-Tickets verkaufte, stagniert nun der Absatz bei jährlich „nur“ noch 20.000. Im letzten Jahr wurden in ganz Europa rund 120.000 InterRail- Tickets verkauft.

Neben den höheren Preisen sind für diesen Rückgang auch veränderte Reisegewohnheiten verantwortlich, erläutert Reto Kormann von den Schweizerischen Bundesbahnen: „Früher gehörte es sich für einen waschechten InterRailer, möglichst viele Kilometer zu ,fressen‘. Heute reist die Kundschaft jedoch selektiver.“ Viele kaufen nur noch Netzkarten für einzelne Länder, zum Beispiel Euro-Domino-Tickets.

Diesem Trend wurde 1994 auch das InterRail-Ticket angepaßt: Europa wurde dazu in sieben Zonen aufgeteilt – bezahlt werden müssen lediglich die tatsächlich bereisten Zonen. 1996 waren nur rund 20 Prozent aller InterRailer mit einem – dem klassischen InterRail- Ticket entsprechenden – „Globalpaß“ für ganz Europa auf Achse. Seit alle Grenzen auf sind, scheint grenzenloses Reisen bei den Jugendlichen nicht mehr in zu sein. Vielleicht ist Europa aber auch einfach zu groß für eine Ferienreise geworden?

InterRail soll jedoch nicht sterben. „Die Zukunft des Tickets ist zur Zeit gesichert“, versichert Jochen Fuchs von der Deutschen Bahn. Zum fünfundzwanzigjährigen Jubiläum seien zwar keine besonderen Aktionen geplant, dafür aber habe die französische Bahn (SNCF), die für InterRail geschäftsführend zuständig ist, im Frühjahr 1997 „europaweit eine Umfrage zu InterRail gestartet, um ein attraktiveres Ticket zu kreieren, das sich noch mehr an den Bedürfnissen des Marktes orientiert. Genaueres soll Ende dieses Jahres auf einer Konferenz der europäischen Bahnen beschlossen werden. Die Deutsche Bahn möchte ab nächstes Jahr das InterRail-Ticket in den Mittelpunkt der Jugendangebote stellen und entsprechend bewerben.“

„Wir brauchen dieses Niedrigpreis-Angebot“, meint auch Fuchs' Schweizer Kollege Reto Kormann: „Wir dürfen die Billigflugangebote nicht außer acht lassen. Die Airlines werben immer günstiger um Kunden. Und schließlich sind die Jugendlichen die Kunden von morgen, die wir bei der Stange halten müssen.“