Wo die Strandcharmeure flanieren

Hammamet, das ist die touristische Hochburg Tunesiens, Inbegriff eines massenhaften Pauschaltourismus. Es ist aber auch der „liberale Vorort von Tunis“, seine Amüsiermeile. Eine touristische Freizone mit orientalischer Kulisse  ■ Von Edith Kresta

Rauf ist ein diskreter Plauderer. Sein Frisiersalon liegt im Zentrum von Hammamet: ganz roter Plüsch und warme Brauntöne. Hier schneidet der Chef selbst. Rauf kennt sich aus in der Szene Hammamets, wo man französische Modeschöpfer und Starlets neben dauerurlaubenden deutschen Rentnern, Kleinfamilien und sexbessenen TouristInnen trifft. Und er kennt viele Geschichten. Er wirft sie ab und zu in die lockeren Frisiergespräche ein. Auf die Geschichte von der sechzigjährigen Deutschen, die seinen zwanzigjährigen Freund ehelichte, kommt er nur, weil er Lamias schwarze Haare mit blonden Strähnchen durchzieht, im Blondton dieser deutschen Kundin. „Sie hat noch mit sechzig gut gewirkt“, beruhigt er die unter einer Strähnchenmütze schwitzende Lamia, die ängstlich auf das Farbergebnis wartet. Vor allem in den Wintermonaten hat Rauf viel ausländische Kundschaft. Manche Ausländer erfüllen sich in Hammamet den Traum vom Leben am Mittelmeer. Viele Senioren überwintern hier wie die europäischen Vögel etwas weiter nördlich am Ichkeul- See, und manche Urlauber kommen zwei- bis dreimal im Jahr.

Hammamet, das ist die touristische Hochburg Tunesiens. Begnadet mit Stränden, einer überschaubaren Medina direkt am Meer und der Nähe zur Hauptstadt. Hammamet ist aber auch der „liberale Vorort von Tunis“, so Lamia. Die Versicherungsfachfrau aus Tunis, Mitte Dreißig und unverheiratet, verbringt hier viele Wochenenden bei Freunden, zu denen auch Rauf zählt. Der Ort liegt nur eine Autostunde von Tunis entfernt. „In Hammamet können Frauen auch in Shorts einkaufen gehen. Tunis ist in dieser Beziehung viel konservativer“, erzählt Lamia.

Trotz der riesigen Hotelanlagen entlang der Küste, wo die Strandcharmeure flanieren, ist Hammamet ein beschauliches Nest geblieben. Touristische Freizone und bevorzugter Freizeitort tunesischer Mittel- und Oberschicht: offen, freizügig, europäisch mit orientalischer Kulisse. Selbst Präsident Ben Ali hat Hammamet zu seinem Sommersitz auserkoren. Hammamet im Sommer strotzt vor „Events“: Da finden Soireen, Modeschauen und Schönheitswettbewerbe statt. Als gehaltvolle Abwechslung bietet sich Anfang Juli das Internationale Mediterrane Filmfestival an.

Vor dem Kulturzentrum steht eine lange Schlange. Start der Mediterranen Filmwoche mit 17 Filmen aus Ländern von beiden Ufern des Mittelmeers. Das Festival soll „eine qualitative Alternative des kulturreichen Mittelmeerraums zum dominierenden Hollywood-Kino“ sein, schreibt die Zeitung La Presse. Zur Eröffnung läuft der neue Film des tunesischen Regisseurs Nourid Bouzid „Bent familia“ (gute Familie). Ein Film über Geschlecht und Macht auf dieser südlichen, männerdominierten Seite des Mittelmeers. So mancher Besucher sticht mit Lagerfeld- Zopf vom verbreiteten akkuraten Messerschnitt tunesischer Friseure ab. Lässig-elegant gekleidete Tunesierinnen unterscheiden sich vom Barbie-Look vieler ausgehbereiter Frauen. Die Filmvorführung findet im Amphitheater des Kulturzentrums statt. Der Spielort im duftenden Park ist an sich ein Ereignis, eine großartige Kulisse: freier Blick zum Meer und auf die riesige Leinwand im Forum.

1926 baute hier der rumänische Aristokrat Sebastian mit dem Geld seiner amerikanischen Frau Flora eine Villa im arabischen Stil. Sie wurde ein architektonisches Schmuckstück, ein Traum in Schwarz, Weiß und Marmor. Deutschen Besuchern erzählt der langjährige Angestellte gern, daß Erwin Rommel hier auf seinem Afrika-Feldzug drei Monate wohnte. Der tunesische Expräsident Bourguiba erwarb die Villa samt Parkgrundstück in den sechziger Jahren. So wurde ein repräsentatives Kulturzentrum daraus.

Direkt neben dem Kulturzentrum in der Avenues Nations Unies liegt das Hotel Parc Plage, mit seinen 33 Jahren das zweitälteste Hotel Hammamets. Trotz seiner 300 Betten wirkt das Parc Plage nicht anonym. Die blau-türkis gekachelten Wände der einstöckigen Anlage, das Schwimmbad, von dem aus man ins Meer spucken kann, und vor allem der zentrale Platz mit den riesigen Palmen – das Parc Plage hat verblichenen Restcharme. Abends, bevor Kinderdisco und Animationsprogramm alle anderen Geräusche übertönen, zwitschern in den Palmen Hunderte Vögel. Zur Freude der Touristen, zum Ärger des Hotels. Der zentrale Platz – Treffpunkt, Sonnenterrasse und Bar in einem – ist dadurch ständig verdreckt. Als Walid Fourati, der Juniorchef des Hotels, das Problem frühmorgens mit der Flinte angehen wollte, erntete er erbitterten Widerstand von tierlieben deutschen Touristen. Handgreiflich verteidigten sie die aufs Korn genommenen Vögel. „Gnadenloser als Brigitte Bardot“, kommentiert Walid Fourati.

Die Fouratis sind eine bekannte Hoteliersfamilie. Tahar Fourati ist seit 1959 als Hoteldirektor in Hammamet tätig. Ein Mann der ersten Stunde. „Ein Hotel mit 70 Zimmern und 140 Betten, das war damals alles“, erzählt er. Die ersten organisierten Touristen in Hammamet waren Deutsche: „Sie kamen über den Reiseveranstalter Mars Reisebüro, Herr und Frau Mars. Sie flogen mit einem kleinen Flugzeug von nur 44 Plätzen, das in Marseille zwischenlanden mußte.“ Inzwischen hat Hammmamet rund 40.000 Urlauberbetten. „Was mir leid tut. Wir arbeiten nicht mehr menschlich. Heute ist alles eine Maschine“, bedauert Tahar Fourati. Und diese Maschine läuft nicht immer auf Hochtouren: Trotz leicht steigender Touristenzahlen klagen die Hoteliers in Hammamet über Einbußen, denn immer neue Hotels machen sich gegenseitig die Touristen abspenstig.

Beispielsweise Hammamet- Süd. Dort, wo heute noch riesige Baukräne in den Himmel ragen, sollen schon bald großzügige Palmenalleen und touristische Luxusanlagen die Urlaubsträume einer gutverdienenden Klientel befriedigen. Mit Hilfe großzügiger staatlicher Kredite ensteht eine neue touristische Zone mit etwa 20.000 Betten und prächtigen Marmortempeln wie dem Abu Nawas Africana oder dem Occidental, das 107 Millionen Dollar gekostet haben soll. Tourismus scheint immer noch der Zauberstab zum ökonomischen Erfolg.

Tahar Fourati sieht diese Entwicklung mit Skepsis: „Wissen Sie, hier in Tunesien haben wir eine Krankheit: Sie haben eine Goldkette, also will ich eine Diamantenkette. Jeder will es besser machen als der andere.“ Wie sich die Marmortempel jemals auszahlen sollen, fragt sich nicht nur Tahar Fourati: „Es gibt hier einige ausländische Investoren. Man weiß nicht, woher das Geld kommt. Von Kokain oder so. Ich will nichts dazu sagen. Jedenfalls werden sich diese Hotels in 80 Jahren noch nicht amortisiert haben.“ Das Projekt Luxustourismus in Hammamet- Süd wartet noch auf seine golfspielende Klientel. Reiseveranstalter bieten derweil Hammamets Fünf- Sterne-Hotels zum Preis von drei Sternen an.

Bisher lebt Hammamet hauptsächlich von Pauschaltouristen. Die kommen massenhaft und geben ihre hart erarbeiteten Devisen zwischen Strandbar und anheimelnden Restaurants wie Zum alten Fritz aus. Aber auch der Inlandstourismus wächst. Im Parc Plage urlauben am Wochenende im Sommer überwiegend tunesische Familien. Die einzige verschleierte Frau am Pool spricht deutsch. Die Palästinenserin mit Mann und zwei Kindern kommt aus Berlin. Schleier ist in Tunesien out. Schon Expräsident Bourguiba wünschte sich die Tunesierin als moderne Frau und stellte sie in den fünfziger Jahren rechtlich dem Mann fast gleich. „Eine Frau wie ein Teppich, auf dem der Mann rumtrampelt. Grauenvoll!“ findet auch die Hauptstädterin Lamia. Der Schleier ist aber auch aus Gründen der Staatsräson aus der Öffentlichkeit verbannt. Er ist das Symbol des islamischen Fundamentalismus, und dieser wird in Tunesien schärfstens unterdrückt.

Nachmittags, wenn die Sonne glutheiß am Himmel steht, verschwinden die TunesierInnen vom Pool. Sie machen Siesta. Nur die hellhäutigsten Europäer bruzzeln weiter, vielleicht in Konkurrenz zum Schoko-Teint der Einheimischen. Zum Abendessen treten die tunesischen Frauen dann in voller Garderobe auf, die Männer mindestens im lässigen Freizeitsakko, während viele TouristInnen in T-Shirt, Shorts und Badeschlappen ans Büfett schlurfen. Abends in die Hoteldisco nimmt die tunesische Kleinfamilie zur Not auch die Kinder mit. Ausländische Touristen erscheinen dort fast nie in Familie, selten paarweise.

„Deutsche Männer tanzen nicht gern“, weiß Mounchi aus Erfahrung. Manchmal springt er dann für diese ein. Mounchi, der seit 18 Jahren im Tourismus arbeitet, hat seit einem halben Jahr einen Zeitvertrag als Animateur im Parc Plage. Ursprünglich kommt er aus einem kleinen Dorf bei Kairouan. „Wir waren vier Kinder und hatten jeden Tag einen Schulweg von sieben Kilometern. Zu Fuß. Wir hatten nicht einmal einen Esel“, erzählt er. Um dem Vater, der zwei Kindern schon eine Ausbildung ermöglicht hatte, nicht länger auf der Tasche zu liegen, brach Mounchi frühzeitig die Schule ab und wurde Kellner. Im Robinson Club von Sousse brachte er es durch seine Leidenschaft für das Bogenschießen zum Animateur. Seit der Club geschlossen wurde, tingelt er durch die Hotels. Im Winter, wenn es wenig Arbeit gibt, möchte er eine Sprache lernen. Französisch beispielsweise. Mit den Urlaubern unterhält er sich zwar spielend auf italienisch, deutsch oder französisch, manchmal auch schon mit ein paar Brocken Russisch, aber „ich kann eigentlich keine Sprache richtig“, gesteht er.

Hammamets 42.000 Einwohner leben direkt oder indirekt vom Tourismus. Selbst die Administration in Hammamet ist zu 50 Prozent mit touristischer Dienstleistung beschäftigt. „Wir haben beispielsweise doppelt so viele Polizisten hier wie jede andere vergleichbar große Stadt in Tunesien“, berichtet Mohamed Khechine, Vizepräsident der Stadtverwaltung und selbst Hotelier.

Nun will man – als Investition in die Zukunft – den Tourismus qualifizieren, sprich, teurer machen. Dazu bedarf es neben Golf besonderer Angebote wie der Thelasso- Therapie im Hotel Belle Azur. Dort werden die Gäste in Algen gepackt, in Meerwasser gebadet, geduscht und massiert. Hochmoderne technische Einrichtung und ausgebildetes Personal garantieren Erfolge bei Arthrose und Rheuma Auch das traditionelle tunesische Badehaus, der Hamman, fehlt im durchgestylten Belle Azur und anderen Luxushotels nicht. Fast ausschließlich männliche Masseure schrubben dort die Körper der KundInnen. Die in Tunesien übliche Geschlechtertrennung ist aufgehoben. „So ist es in Europa“, meint Doktor Behi Bouakez in bestem Deutsch. Er hat in Tübingen studiert.

Wie es in Tunesien eigentlich ist, kann der Besucher, die Besucherin im Hamman in der Medina von Hammamet erfahren. Dort werden früh die Männer, nachmittags die Frauen geschrubbt. „Die Masseuse hat einen sehr guten Ruf“, erzählt Lamia. Sie selbst geht allerdings selten dorthin: „Zu schmuddelig“, findet sie.

Sie trifft sich mit ihren Freundinnen am liebsten zum Kaffeetrinken in der zukünftigen Luxuszone Hammamet-Süd, zum Beispiel im Abu Nawas Africana. Fünf Sterne und das Neuste muß es schon sein, auch wenn ihr Budget gerade für ein Getränk reicht. In den Hotels ist frau ungestört und kann auch öffentlich ein Bier trinken. Oder sie sitzt vor einem frisch gepreßten Glas Erdbeersaft im Canari mitten im Zentrum von Hammamet mit dröhnendem Technosound im Hintergrund, hupenden Autos im Vordergrund. Gegen die glutäugigen Strandflaneure und allzeit flirtbereiten Männer ist die Single Lamia gefeit. Die laufen ohnehin erst bei hellhäutigen Blondinen zu Hochform auf. „Alles Heuchler“, konstatiert Lamia kategorisch. Abends geht sie mit Freunden in die Disco Kalypso, noch lieber ins Manhattan, „um sich zu bewegen“. Strandspaziergänge findet sie nämlich furchtbar. Teehäuser, die Medina, Touristinnen mit unrasierten Achselhöhlen und Beinen und deutsche Männer mit Socken in Sandalen auch. Lamia mag es schick.