: Politik geht vor Recht
■ Jericho: Kurzer Prozeß für die Mörder eines Israeli
Wann immer die palästinensischen Sicherheitskräfte von israelischer Seite mit Lob überschüttet werden, hagelt es Kritik von palästinensischen Menschenrechtsorganisationen. Meist zu Recht. Das Sicherheitstribunal in Jericho hat buchstäblich kurzen Prozeß gemacht. Nur eine Stunde Zeit nahm es sich, um drei palästinensische Jugendliche wegen der Ermordung eines israelischen Taxifahrers zu verurteilen. Eine Verteidigung hielt es offensichtlich für überflüssig, weil die Jugendlichen geständig waren. Aber auch geständige Mörder haben nach rechtsstaatlichen Kriterien ein Recht auf einen Anwalt und eine angemessene Verteidigung.
Auch liegt der Verdacht nahe, daß sowohl die palästinensischen Sicherheitskräfte als auch die Justiz den Israelis beweisen wollten, daß sie schnell, hart und gründlich arbeiten können. Dies haben sie getan. Und damit den möglichen Vorwurf, bei Verbrechen an Israelis nachsichtig zu sein, von vornherein unterbunden. Doch diese politische Absicht, wie gut gemeint auch immer, geht auf Kosten der Rechtsstaatlichkeit. Und noch eine andere politische Absicht hat das Verfahren beeinflußt. Mit der schnellen Aburteilung will die Autonomiebehörde ein mögliches israelisches Auslieferungsbegehren abwenden. Eine Auslieferung würde die Autonomiebehörde in den Augen der palästinensischen Öffentlichkeit zum Handlager Israels machen. Und einen derartigen Vorwurf kann sie sich bei der derzeitigen Abriegelung der palästinensischen Gebiete politisch nicht leisten.
Den Palästinensern sind Schnellverfahren nicht unbekannt. In den Jahren der Intifada wurden Angeklagte ebenfalls in Schnellverfahren binnen weniger Minuten abgeurteilt – von israelischen Militärgerichten. Ein solcher Vergleich sollte der Autonomiebehörde zu denken geben. Das palästinensische Grundgesetz, in dem Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte verbindlich verankert sind, befindet sich in zweiter Lesung im Parlament. Solange gelten Regularien und Verfahren, die auf jordanischem und ägyptischem Recht, nicht aufgehobenen israelischen Militärerlassen und neuen palästinensischen Edikten basieren. Diese krude Mischung erlaubt Verfahren wie das in Jericho. Es ist deshalb höchste Zeit, daß das Grundgesetz verabschiedet wird. Georg Baltissen
Bericht Seite 8
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen