Pferch in Ferch Von Michael Rudolf

Da möchten wir einen zünftigen Urlaub ins Werk setzen, doch die äußeren Umstände haben es sich zur Aufgabe gemacht, ihre angenehmen Seiten auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Zunächst mal stellt der Himmel, ohne vorher zu fragen, unausgesetzt Wasserseile in die Gegend. Das schwächelnde Triebwägelchen mag gar nicht weiterfahren, aber irgendwann ist doch der Bahnhof erreicht, der nur noch dreißig Regenfußminuten vom Zielort entfernt ist: Ferch am Schwielowsee im Brandenburgischen.

Eine Wohn- und Urlauberkolonie alten Zonenzuschnitts, die anmutet, als sei sie aus einer verrotteten Spielzeugkiste gepurzelt, und die sich laut Aussage mehrerer Einheimischer nun zu 70 Prozent in Westhand befände. Zu spüren ist davon wenig. Die andere Westhand setzt dafür Eigentumswohnparks und Seehotels willkürlich und reihenweise in den Sand.

Das Wetter verhält sich auch am zweiten Tag so, daß Seewasser und Himmel schon zehn Zentimeter vor der Pupille zu einem graumelierten Etwas verschwimmen. Wacklige Bootsstege raupen am Ufer auf und ab. Schnell hat sich herumgesprochen, daß Urlauber da sind. Das Fremdenverkehrsamt läßt den Regen kurz abstellen und auf der befahrensten Kreuzung („Potsdamer Platz“) die Überlebenden zweier Rentnerregimenter Posto fassen, Leute mit Schorlemmerfrisuren, die zu tonnenweise wurmzerfurchtem Fallobst und drei Johannisbeeren locken, mangelhaft ausgeprägten Kaufwunsch mit Verwünschungen kommentieren und uns unbeliebten Minderheiten zuordnen.

Die unseren Straßen ähnlichen Verkehrsadern kennen den althergebrachten Fußweg nicht, aber die Baufahrzeuge fahren fast übereinander, daher ist unsere Fortbewegung zum Zwecke der Nahrungssuche gewissen Einschränkungen unterworfen. Mildtätige Busfahrer brächten einmal im Jahr ein trockenes Brot vorbei, erzählt man sich. Selbst die Bäume wirken unentschlossen. Hier ist also das Ende der Welt. Eingepfercht in Ferch.

Der Regen hat am dritten Tag einer unerträglichen Sonne den Platz überlassen – überall wird hier übertrieben. Das Strandbad ist schlecht, also nicht besucht. Bei 30 Grad Celsius Lufttemperatur gibt der See sein Letztes, um den ihm innewohnenden Nährstoffgehalt zu demonstrieren. Das fordert den Gebrauch von Schimpfwörtern geradezu heraus. Eine grüne Lava, bedeckt mit Gärungsnebenprodukten und Unterwassersichtweiten bis zu einem Millimeter. Die Anrainergrundstücke führen einen albernen Wettbewerb um den größten Bestand von Brennesseln. Und Disteln. Baumgewirr inklusive. Dazwischen geschichtet, die Zeugen einstigen volkseigenen Wohlstandes auf verlorenem Posten. Manche Latifundien enden unvermittelt im Nix. Die Natur holt sich das Ihre zurück. Schon spaßhaft im Selbstgespräch formuliertes Wohlgefallen läßt die Gartentore aufplatzen, die Eigentümer wie Springteufelchen herauspreschen und mit Billigkaufangeboten nur so prahlen.

Will denn hier keiner bleiben? Offenbar nein. Wir auch nicht. Wir kidnappen fix einen Bus, der, wie sich herausstellt, schon von anderen irregeleiteten Urlaubern gekapert worden war und uns nach holpriger, lustiger Fahrt in Potsdam wieder abwirft.