■ Ein Sonntagnachmittag mit Renndromedaren und Berlinern
: Hängende Unterlippen

Seit Sonntag ist Brandenburg keine blühende Landschaft mehr, sondern eine 30.000 Quadratmeter große „grüne Oase“. Sagt jedenfalls der brandenburgische Wirtschaftsminister Burkhard Dreher. Und Berlin sei „die größte Karawanserei“, derweil das Drehers Rede hämisch goutierende Publikum auf der Galopprennbahn Hoppegarten in Brandenburg bei Berlin „einen Nachmittag wie tausendundeine Nacht“ erwartete.

Tausendundeine Nacht schien Dreher über seiner arabesken Ansprache gebrütet zu haben. Und wurde doch ausgestochen durch die wenigen, staubtrockenen Worte des Präsidentensohns der Vereinigten Arabischen Emirate, Scheich Hamdan bin Zayed Al Nahyan: „Enjoy the Camels“.

Also ward „das erste Kamelrennen Europas“ in Hoppegarten vor angeblich 40.000 Zuschauern (teils in mäßig authentischem Morgenland-Outfit) eröffnet, ein „Hauptstadtevent“, in dessen Verlauf eine kleine Korrektur in die Lautsprecher geknurrt wurde: weder war es das erste (s. Köln, 1969), noch – vielleicht – ein Kamelrennen. Nachdem nämlich auch noch die Formulierung „Renndromedar“ übers Gelände schepperte, mußte zehntausendfach die alte Höckerfrage aufgewärmt werden. Bei 30 Grad im Schatten ein echtes Problem. Andererseits: Nach der Enttäuschung, nicht wetten zu dürfen (statt „Satz und Sieg“ gab es lediglich vier Mark teure Losnieten zu erstehen), erbot sich vor dem ersten Rennen solch mentale ABM als gelungener Zeitvertreib.

Beim Einlauf der „Wüstenschiffe“ (Eberhard Diepgen) – deren vorabkolportierte Bockigkeit sich in wiederkäuendem „Ablegen“ und enttäuschender Geruchlosigkeit erschöpfte – noch wohlwollend, wurde die Amüsierwut der Zuschauer durch den garteneigenen Kommentator von Anfang an kräftig im Zaume gehalten: „Na na na na na, die verfallen ja fast in Schritt!“ Zu Recht vermißte er den Thrill der kraftstrotzenden, amorphen Galopprennmasse, die hier gewöhnlich den Turf umpflügt. Als nach ausgedehnten fünf Minuten das allerletzte Kamel endlich mit hängender Unterlippe durch die Ziellinie wankte, genoß es jedenfalls weitaus mehr Sympathiebekundungen als das Siegertier.

Aufsehenerregender als das Kamelrennen hingegen war, daß Siegerjockey „Fräulein Fritzi Pape“ partout nicht bei der Siegerehrung erscheinen wollte, um von Siegerehrer L. Pokall den Pokal in Empfang zu nehmen. Was war geschehen? Schon bald darauf zitierte der Lautsprecher Fräulein Fritzis Eltern in der VIP-Lounge und teilte mit, daß die ungeehrte Siegerin (Oberschenkelhalsbruch? Liebeskummer?) an den weiteren Rennen nicht teilnehmen würde. „Fräulein Fritzis Gespür für verschwitzte Sonntagnachmittage“ war mitnichten der einzige Kleinkrimi, der übers Geläuf verbreitet wurde („Der kleine Paul hat seinen Vater verloren!“), aber mit Sicherheit der mitleiderregendste.

Während sich auf den immer lichter werdenden Tribünen allerhand wiedergefundene Vermißte in die Arme fielen, kam es zum eigentlichen Highlight des Renntages: Ein Rentner erwarb am Getränkestand eine Dose Eistee. Und bescherte dem Stillen Beobachter die einmalige Gelegenheit, mitanzusehen, wie dieser über 60jährige zum ersten Mal in seinem Leben, mit sichtlicher Mühe und zunehmender Verbitterung versuchte – bis er schließlich den Nippel in der Hand hielt und ihn der Verkäuferin mürrisch unter die Nase hielt – eine Getränkedose zu öffnen ... Wahnsinn!

Und so war es alles in allem und für alle Beteiligten doch noch ein ereignisreicher, erinnerungswürdiger und bittersüßer Sonntagnachmittag.

Monie Schmalz und

Christoph Schultheis