Bildungs- Freßsucht

■ Hochschulreform hilft nicht gegen das Schein-Studium

Gestern machte es in Bonn wieder mal gewaltig piep. Am Gesetzgebungsprozessor wurde das Fenster Hochschulrahmengesetz angeklickt. Lange schon haben die 16 KultusministerInnen und der Herr aus Bonn, der sich Zukunftsminister nennt, diesen Mauseinsatz erwogen. Nach einer langen Nachtsitzung und einem Vormittag strikter Geheimhaltung dürfen wir jetzt alle gähnen. Die Minister konnten kein Fenster in die Zukunft öffnen.

Im Programm stehen gute Vorsätze, Regelungen, die derzeit die meisten Länder in ihre Landesgesetze schreiben, und manches, womit einige Universitäten bereits beginnen: etwas mehr Autonomie, Globalhaushalte als Experiment, strengere Zwischenprüfungen und aufgeblasene Maßnahmen gegen Langzeitstudenten, die ohnehin nicht im Hörsaal erscheinen. Außerdem sollen Abschlüsse zum Beispiel auf „Master“ umgetauft sowie verdienten Professoren Drittmittelprämien in Aussicht gestellt werden.

Die Reform birgt weder Inspirationen für die Zukunftswerkstätten noch den ebenso notwendigen Donnerschlag, der müde Studenten und resignierte Professoren aufschreckt.

Wenn endlich die Gesellschaft, vertreten durch die Politik, den Hochschulen großzügig gäbe, was diese brauchen – Freiheit, Geld und Vertrauen –, dann könnte die Gesellschaft auch die Leistungen verlangen und kontrollieren, die im Ausgang der industriellen Eisenzeit so wichtig werden: exzellente wie verantwortliche Forschung, Einsatz der Professoren in einer Lehre, die ebenso Traditionen vermittelt wie die Fähigkeit übt, Neues zu erfinden. Außerdem ein Management, das aus Universitäten wieder interessante Orte macht, erogene Zonen des Diskurses.

Wie das geht, kann man an vielen Stellen der Welt studieren. Immer seltener allerdings in Deutschland. Hier üben sich die Studierenden im Schein- Studium und erkranken an Wissens- Bulimie: fressen und kotzen. Sie meiden wie ihre Professoren die verkommenen Räume der Alma mater.

Die Hälfte der Professoren kann sich die Jahre bis zur Pensionierung an beiden Händen abzählen. In der Forschung indessen machen derzeit Fälscher Schlagzeilen. Das entspricht dem Spirit der von allen guten Geistern verlassenen Lernfabriken, denen Rüttgers nun das Design für das 21. Jahrhundert verpassen will. Reinhard Kahl