In der Blutsuppe

■ Viele Vorspeisen, diverse Beilagen und Desserts, aber wo ist der Hauptgang? Ein Ausblick auf das 11. Fantasy Filmfest

Filmfestivals gibt es viele, darunter manche, die sich eher um die ausgefalleneren Wünsche der anvisierten Zuschauerschaft kümmern als um die akademische Suche nach Hebungen und Senkungen der Kunstform Film. Doch kaum eine Veranstaltung hat sich ihrem Publikum so verschrieben wie das Fantasy Filmfest. Zum nunmehr elften Male bringen die Organisatoren jene Kost auf die Leinwände, die sonst allenfalls auf Video oder im Nachtprogramm der privaten TV-Sender eine zwielichtige Existenz fristet: mehr oder weniger „phantastische“ Produktionen, die ihre leidenschaftlichen Bewunderer haben, von den hauptberuflichen Filmfreunden in den naserümpfenden Feuilletons aber kaum Anerkennung erhalten.

Bisher hatte sich die ehrenwerte Intention, ungewohnte und unterschätzte Filme aus dem etwas vagen Bereich „Science-fiction, Horror und Thriller“ aufzuführen, stets ausgezahlt. Genre-Produktionen aus Hongkong und japanische Animation, deftige Horrorware und eigenwillige Reißer – oft konnte das Fantasy Filmfest Trends und Regionen treffsicher und mit deutlichem Vorsprung ausmachen. Ohne striktes organisatorisches und thematisches Korsett konnten dann auch mal Bonbons in die Menge gestreut und etwa kostenlos (!) „AkteX“-Episoden in der englischen Originalfassung weit vor der Fernsehausstrahlung gezeigt werden.

In diesem Jahr aber könnte die hart erarbeitete Popularität des Fantasy Filmfests Schaden nehmen. Die äußeren Umstände sind schon etwas unglücklich: So müssen Filmfreunde zwischen 12 und satten 16 Mark pro Karte anlegen (die längst ausverkaufte Dauerkarte kostete 250 Mark), Preise, die doch etwas hoch liegen für ein erklärtes „Fan-Festival“. Und für die Entscheidung, das komplette Programm in einem Spielort zu zeigen, in den Sälen 1 bis 3 des Royal-Palasts, mag es Gründe gegeben haben – ein adäquater Ersatz für den Filmpalast und die in der Vergangenheit beteiligten Off- Kinos ist das nicht.

Bleibt das Programm selbst. Science-ficton macht sich da sehr, sehr rar – eigentlich fallen nur „Space Truckers“ mit Dennis Hopper und „Thousend Wonders Of the Universe“ aus Frankreich in dieses Genre. Merkwürdig, denn derzeit schwappt nicht nur in den USA eine gewaltige SF-Welle durch die Kinos. Aber „Men in Black“, „Contact“ und Luc Bessons brillant-strapaziöser „Das Fünfte Element“ findet man beim Fantasy Filmfest nur in Form von Werbeanzeigen im aufwendigen Programmheft (einen von ihnen vielleicht noch als diesjährigen „Überraschungsfilm“). Sind den Filmverleihern die Großproduktionen, die mit ihren Werbeetats sicher nicht auf eine Vorabvorführung angewiesen sind, etwa zu schade für das Festival?

Während Streifen um wackere Raumfahrer, Monster aus dem All und andere futuristische Abenteuer fehlen, mangelt es aber nicht an Horrorproduktionen. Der Eröffnungsfilm ist gut gewählt: „Scream“, der neue Grusel-Thriller von Wes Craven, ist eine Hommage an die Slasher-Movies der späten Siebziger und frühen Achtziger von „Halloween“ über „Freitag der 13.“ bis zu Cravens eigenem „Nightmare On Elm Street“.

Quentin Tarantino als Übervater

Sowohl der unbekannte Serienmörder im Sensenmann-Kostümfilm wie auch seine (potentiellen) Opfer haben diese Filme gesehen, in denen amerikanische Teenager reihenweise abgeschlachtet werden, was für Grusel und auch Komik sorgt. Leider ist „Scream“ selbst wenig mehr als ein formelhafter Slasher-Streifen: Die ironischen Brüche können über hölzerne Figuren (Courtney Cox als penetrante TV-Reporterin!) und abgestandene Klischees (der nicht totzukriegende Bösewicht) nicht hinwegtäuschen. Das ist die Misere des Horrorfilms – fast alles war schon da, fast alles wurde schon gezeigt, allenfalls die Dosis läßt sich noch erhöhen.

Gerade im direkten Vergleich aktueller Produktionen mit älteren Genre-Werken wird die Diskrepanz deutlich – schließlich zeigt das Filmfest eine Retrospektive auf Arbeiten des italienischen Gurus des Horrorschockers, Dario Argento. Die finstere Romantik und die eigenwillige Moralität „klassischer“ Horrorfilme sucht man in den neuen Produktionen vergeblich. Nur Peter Jackson scheint aus dem Genre noch frische Impulse herausholen zu können: Erfreulich, daß man seine teils hoch amüsanten Werke „Bad Taste“, „Brain Dead“ und „Heavenly Creatures“ genauso auf dem Filmfest sehen kann wie seine bislang letzte Produktion, „The Frighteners“.

Das diesjährige Angebot an Thrillern zeigt, daß auch weiterhin überdeutlich von Quentin Tarantino beeinflußte Gangsterfilme heruntergekurbelt werden. In „Grosse Point Blank“ (der am Donnerstag unter dem elenden Titel „Ein Mann – ein Mord“ regulär startet), muß sich Profikiller John Cusack mit alter Liebe, Wettbewerbern und Dan Aykroyd herumschlagen, der ihn für seine Auftragsmörder-Gewerkschaft gewinnen will. „The Real Thing“ von James Merendino schildert, wie zwei verschiedene Cliquen kleiner Ganoven denselben „großen Coup“ landen wollen. Obwohl sich das vermeintliche Opfer, Clubbesitzer Rod Steiger, von seinem Bodyguard eine Fußmassage geben läßt und es ja kaum direktere Tarantino-Anspielungen geben kann, bleibt der Streifen zäh. Und es gibt „City Of Industry“, in dem sich Stephen Dorff nach einem gelungenen Überfall seiner Kollegen entledigt – warum auch teilen? Einzig Harvey Keitel überlebt das Massaker, flüchtet und schwört Rache; John Irvins Regie gewinnt der stereotypen Geschichte wenigstens gute Bilder und Charakterisierungen ab. Auch ein Post- Tarentino-Thriller: „Curdled“, immerhin die vom Meister selbst produzierte Geschichte eines Tatort- Reinigers. Das hat uns gerade noch gefehlt: „Post Forensic Cleaning Service“.

Das Programm des 11. Fantasy Filmfests läßt den Verdacht aufkommen, die Veranstalter hätten mit wenig Konzept und viel Kalkül gearbeitet. Werden hier nicht doch beliebig zusammengeworfene Filme aufgeführt, deren kleinster gemeinsamer Nenner die Vorliebe für niedere Instinkte ist? Bleibt das einzige durchgehende Motiv nur eifrig verspritztes (Film)-Blut? Ohne klare Auswahlkriterien (was verbindet die amerikanische „Totmacher“-Variation „Killer: A Journal Of Murder“ mit der Körpertausch-Klamotte „Dating The Enemy“?) wirkt das Filmfest wie ein kinematographischer Grabbeltisch, aus dem man mühevoll „seine“ Filme herauswühlen kann. Und das müßte nicht sein. Thomas Klein

Bis 27. 8., Royal-Palast,

Termine siehe Cinemataz