■ Gebell, Schreie und eine Schießerei in der Nachbarschaft
: Kein schöner Land in dieser Zeit

Auf die schönen Sommernachmittage in Hamburg ist Verlaß. Der Bunker zwei Häuser weiter hat die Anlagen in die Fenster gestellt und gibt eine Retrospektive von Joe Cocker, immerhin. Letzte Woche war es „Fick, fick, fick mich ins Hirn“, was mich zunächst veranlaßt hatte zu vermuten, daß ich es irgendwie an den Ohren habe bzw. mit meiner Psyche was nicht in Ordnung ist. Der Bademeister in der Nachbarwohnung hatte aber dasselbe gehört, und der hat gar keine Psyche.

Das Altersheim nebenan sitzt bzw. hängt mal wieder in den Stühlen und Rollstühlen draußen im Garten und wird beschäftigungstherapiert: „Heute wollen wir alle Käsesorten sagen, die wir kennen.“ Erwartungsgemäß werden Edamer, Harzer, Schweizer benannt. „Und Romadur“, wirft einer der Alten ein. „Toll, Herr Fischer. Weiß noch jemand einen Käse?“ Es folgen Tilsiter und Brie. Dann ist Stille. Die Leute sind einfach nicht mit Gorgonzola und Parmesan aufgewachsen. „Und Romadur“, mischt sich Herr Fischer erneut ein. „Ja, Herr Fischer, Romadur hatten wir schon.“ „Romadur!“ Herr Fischer ist nun lauter geworden. Die Therapeutin wechselt zu den Obstsorten.

Jetzt ertönen aus Richtung Bunker Schüsse. Hunde bellen wie wahnsinnig. Man hört Schreie. Das ist an sich nichts Neues, aber ich verlasse doch den Küchenbalkon und begebe mich nach vorne ans Salonfenster, um zu sehen, was da los ist.

Kaum zwei Minuten später ist schon die Polizei da, übrigens zeitgleich mit dem Fernsehen; etwas später läuft die Feuerwehr ein, und ein Rettungshubschrauber landet auf der Stresemannstraße. Ich eile nach oben. Von Markus' Balkon im dritten Stock kann man alles viel besser sehen. Der Schütze wird gerade von den Beamten abgeführt. Zwei Männer hat er angeschossen, der dritte ist tot. Eine Frau läuft hinter ihm her: „Das hassu gut gemacht, Alder.“

Vom Balkon gegenüber ist zu erfahren, daß das „seine Schlampe“ gewesen sei. Die Nachbarschaft ohne Balkon wuselt außerhalb der abgesperrten Zone auf der Straße herum und spricht ihre unmaßgebliche Meinung in die Fernsehkameras hinein. Man habe den Verbrecher immer als sehr nett und hilfsbereit erlebt, „aber wenn er mal was trinkt, kommt bei ihm was raus“. Später am Tag wird festgestellt werden, daß wegen der Pistole schon eine Anzeige vorgelegen hat, und das Fernsehen recherchiert bei der Polizei. Die Polizei gibt zu, daß sie von der Waffe gewußt habe, erklärt aber, daß ihre „Bewertung“ dahin gegangen sei, daß eine Straftat nicht unmittelbar bevorgestanden habe. Oder jedenfalls nicht sofort.

So spricht der Hanseat, wenn er offiziell wird. Wie damals Uwe Seeler, als er im NDR wegen der Korruptionsgeschichte im HSV interviewt wurde: „Ich habe Geld weder beh-kom-mehn noch ... geh- kriecht.“

Ich gehe doch lieber wieder runter auf meinen Küchenbalkon. Die Sitzung hinterm Altersheim ist, scheint's, ohne Unterbrechung weitergegangen; schließlich hat man ein oder zwei Weltkriege hinter sich gebracht. Und ist jetzt bei den Wurstsorten angelangt. Mettwurst, Leberwurst, Blutwurst, Salami. „Zervelat!“ brüllt Herr Fischer. „Ja, Herr Fischer“, sagt die Therapeutin beherrscht, „das sagten Sie schon dreimal.“ „Zervelat, Zervelat!“ Seine Stimme kippt um. Die Therapeutin macht jetzt den Vorschlag, daß man doch ein Lied singen könne. Man singt Kein Schöner Land In Dieser Zeit.

Abends im Fernsehen sagt der Sprecher, daß es die erste Schießerei im Theresienheim gewesen sei. Gut recherchiert: So heißt das Altersheim. Der Bunker heißt bloß Der Bunker. Fanny Müller