Streunen durch die kathedrale Technowelt

Endstation Banlieue. „Clubbed to Death“, der zweite Film von Yolande Zauberman, müht sich allzu angestrengt um Authentizität. Dabei ist er ein simpel gestricktes Märchen und eine viel zu schnell erzählte Geschichte  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Wo es um Musik, Drogen und die sexy Verausgabungen des Nachtlebens geht, möchten Filme gern mehr sein und den Eindruck erwecken, sie seien Teil der intensiven Wirklichkeit, die sie beschreiben. Deshalb gab es im Anschluß an die Berlinale-Vorführung von Yolande Zaubermans etwas marktschreierisch betiteltem „Clubbed to Death“ eine Premierenparty in der eher gesitteten House-Disco Delicious Doughnuts. Deshalb war es sehr wichtig, daß Elodie Bouchez, die schöne Hauptdarstellerin des Films, sich in ihrem wirklichen Leben eine Zeitlang drogenbegeistert im Nachtleben verloren hatte, und deshalb hängen „Clubbed to Death“-Plakate vor dem Berliner Tresor, wo sie auch für den Technoclub werben.

Vor den Plakaten, auf denen die Hauptdarstellerin im Ecstasyrausch besonders schön tanzt, lungern bis in den Morgen Jugendliche herum, die viel dumpfblöder wirken als im Film, und verkaufen Pillen und „astreines Speed, Alter“. So verknüpft sich dann alles und sieht doch ganz anders aus.

Eigentlich ist „Clubbed to Death“ ein eher simpel gestricktes Märchen: Die junge Lola ist in ihrem Nachtbus eingeschlafen. An der Endstation, ziemlich weit draußen in der Pariser Banlieue, wacht sie auf. Verzweifelt, doch auch neugierig streunt sie durch die nächtliche Vorstadtbrache, bis sie einen schüchternen Jungen trifft, der wegen seines Gipsarms sehr entschlossen wirkt und sie in die wilde Technowelt mitnimmt.

Die liegt in einer ehemaligen Fabrikhalle und wirkt sehr industriekathedral. Eine dokumentarisch daherkommende Handkamera übernimmt Lolas Blick und betont die Fremdheit der Gesichter, die an Lola vorbeiwischen. Ein anderes Publikum trifft sich hier, als man es aus deutschen Technoläden kennt: es ist älter, härter, wilder; viele Migranten sind darunter. In den Gesichtern spürt man das wilde, gefährliche Leben derer, die in den Vorstädten kaum eine Chance haben.

Lola war zuvor noch nie in einer Technodisco. Dann kriegt sie von ihrem Begleiter eine Ecstasy-Tablette. Damit hat der junge Mann dann seine Schuldigkeit getan und verschwindet aus dem Rest des Dramoletts; Lolas „E-Film“ setzt dafür ein bißchen zu schnell ein. Schön, wie sich im Rausch des Mädchens nun alles zum tollen Augenblick verwandelt; jedes Gesicht, das vorbeikommt, zum Glücksversprechen wird und sie sich bezaubernd lächelnd im duften Housebeat (Daft Punk, Chemical Brothers, Massive Attack usw.) verliert.

Während die in Portugal gedrehten Diskothekenszenen sehr prima daherkommen, gerät der Rest des Films dann leider etwas hurtig: Am Rande des Tanzgeschehens begegnet Lola dem schönen Boxer Emir (Roschdy Zem), verliebt sich sehr und ist nun alle Tage in der Vorstadtszene inklusive Absturz zu finden.

Leider ist Emir drogensüchtig und boxt deshalb auch nicht mehr. Außerdem hat er bedrohliche Schulden in der toughen Dealerszene, die genauso ausieht, wie man sich eine toughe Dealerszene vorstellt, und ist eigentlich auch noch mit der Tänzerin Saida (Béatrice Dalle) liiert. Mit Saida und seinem Bruder lebt Emir auf engstem Raum in einer Vorstadtghettowohnung. Alles sehr vertrackt.

Lola ist sehr entsetzt, als sie von der Drogensucht ihres Geliebten erfährt; die Liebe zum jungen Mädchen bringt Emir dazu, die Drogen Drogen sein zu lassen. Um seine Schulden zu begleichen, läßt er sich von finsteren Gesellen zu einem Boxkampf überreden. Surprise, Surprise: der Gegner ist sein Bruder. Wilder Kampf beginnt in existentialistischem Ambiente. Schmuckbeladene Gangster setzen viel Geld auf ihre jeweiligen Favoriten. Warum die den blutigen Faustkampf immer weiter fortsetzen, anstatt niedergeschlagen auf dem Betonfußboden liegenzubleiben, ist nicht so ersichtlich und wohl als Parabel zu verstehen.

„Clubbed to Death“ ist ziemlich zwiespältig: In den wunderbaren Discoszenen, die auf den Mythos von House als schwarzer Musik der Deklassierten setzen, oder den melancholisch großartigen Bildern der vorstädtischen Busendhaltestelle – ein staubiger Sandplatz im Nichts (nur leider auch in Portugal gedreht) – überzeugt „Clubbed to Death“. Die viel zu schnell erzählte Geschichte verliert sich im Klischee, und einige Ungenauigkeiten sind kaum zu entschuldigen. Irgendwann sieht man zum Beispiel einen DJ am Plattenspieler Faxen machen. Dazu läuft dann die saubere MTV-Version von irgendwas.

„Lange Zeit habe ich mich gefragt, warum ich eine Geschichte von Leuten erzähle, die größtenteils Drogen nehmen; mit welchem Recht ich also davon sprechen kann, wo ich doch selbst ein solches Risiko nicht eingegangen bin“, tremoliert die Regisseurin. Dann habe sie verstanden, „daß die Drogenabhängigen (...) mich zu dem Schrei geführt haben, der hinter der Droge liegt und durch sie erstickt wird. Dieser Schrei ist für mich die Basis des ganzen Lebens, er macht uns zu Menschen, und wenn wir weiter Menschen sein wollen, dürfen wir diesen Schrei nicht unterdrücken.“ Auch sei es so „schwer, ein Mensch zu sein“. So gut, so schlecht.

„Clubbed to Death“. Regie: Yolande Zauberman. Mit Béatrice Dall, Elodie Bouchez und Roschdy Zem. Frankreich 1996, 90 Min.