■ Kommentar
: Klänge des Vergehens

Ach, es waren so herrliche Programme. Der Sound von sf-beat, der in den Siebzigern und Achtzigern der Sound des Aufbruchs war, wenn man im verspießten West-Berlin saß. Oder die Töne von DT 64, die in der engen DDR-Kapitale nach Freiheit klangen. Dann Radio 4 U, das nur einen Sommer tanzte. So kurz wie das kantige Rockradio B. Schließlich Radio Brandenburg, das die Überraschung zum Sendeprinzip machte. Alles vorbei.

Helmut Lehnert, der Chef des neuen Radio Eins, das vom kommenden Mittwoch an irgendwie Erbe all dieser Programme sein will, hat schon recht, wenn er sagt, daß Radio in erster Linie ein emotionales Medium ist. Wer sich gewöhnt hat an Stimmen, Stile, Sounds, schreit auf, wenn etwas Neues kommt. Und wenn eine Wundertüte wie Radio Brandenburg dafür zugeschnürt werden muß. Was vergehen muß, darf Mythos werden. Und in Medienmythen ist Berlin ganz groß. Hier, wo man die Klänge des Vergehens liebt, war auch auf der Radioskala in den letzten Jahren soviel Wandel wie nirgends sonst.

Jetzt kommt das neue Radio Eins und will einerseits alles ganz neu machen, spielt aber andererseits mit John Peel und Alan Bangs die Klaviatur der Legenden. Die Absage an das Formatradio wird hier gleich wieder Format. Die Präsentation des Programmes zeigt: Man kann die emotionale Bindung nicht erfinden. Die entsteht, wenn sie entsteht, aus den Räumen für Ungeplantes, die mit eingeplant werden. Doch davon gibt es im starren Radio-Eins-Schema nur wenige. Aber vielleicht öffnen die Macher solche Räume schon bald selbst. Es ist immer noch besser, etwas Neues anzufangen, als eine Legende wie die Rolling Stones mitzuschleppen. Mit denen beginnt übrigens Radio Eins sein Programm – mit einem Song aus den Achtzigern. Lutz Meier

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